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20.03.2023

Verbot des Betretens eines Grundstücks als sittenwidrige Auflagen in einem Testament

Ein Testament ist ein gebräuchliches und wichtiges Instrument, um die Wünsche einer Person in Bezug auf die Verteilung ihres Vermögens nach ihrem Tod festzulegen. Dabei stehen dem Erblasser verschiedene Möglichkeiten zu, sein Vermögen im Erbfall zu übertragen. Der Erbe erwirbt kraft Gesetz das Eigentum am Nachlass des Erblassers, der Vermächtnisnehmer ein Forderungsrecht gegen den mit dem Vermächtnis Beschwerten.

Neben Erbrecht und Vermächtnis gibt es noch die Auflage als dritte Form, einem Dritten nach dem Ableben etwas zukommen zu lassen. Während die Auflage auf der einen Seite dem Dritten kein eigenes Forderungsrecht einräumt und damit im Vergleich zu Testament und Vermächtnis die schwächste Position gewährt, so gibt sie auf der anderen Seite erhebliche Freiheit bei der Gestaltung und Formulierung. Allerdings hat die Gestaltung Grenzen, wenn die Auflage sittenwidrig ist. Ein Beispiel für eine sittenwidrige Auflage in einem Testament wäre zum Beispiel eine Bedingung, wonach der Erbe eine bestimmte Person heiraten soll oder bis zu einem bestimmten Zeitpunkt verheiratet sein soll, um das Erbe zu erhalten.

Das LG Bochum hatte ebenfalls zum Thema Sittenwidrigkeit einer Auflage mit Urteil vom 4. Juni 2021 – 8 O 486/205 zu entscheiden. Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Klägerinnen sind zu je 1/2 die Erbinnen der 2019 verstorbenen Erblasserin. Die Klägerin zu 1) bewohnte die Wohnung im ersten Obergeschoss. In dem notariellen Testament vom 1.6.2017 formulierte die Erblasserin unter Ziffer III. folgende Auflage: „Die Erben haben dafür zu sorgen, dass es Herrn L. auf Dauer untersagt wird, die Grundstücke […] zu betreten.“

Diese Auflage war nach Ansicht des Gerichts sittenwidrig: Nach §§ 1940, 2192, 2171, 138 (analog) BGB ist eine Auflage nichtig, die gegen die guten Sitten verstößt. Dies kann in Fällen angenommen werden, in denen der Erblasser durch seine Verfügung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und auch wirtschaftlichen Umstände einen nicht zu billigenden Druck auf die Entschließungsfreiheit oder andere Rechte des Bedachten ausübt. Der Spielraum des Erblassers für Auflagen ist dabei sehr groß. Sie dürfen – an objektiven Kriterien gemessen – sinnfrei sogar unsinnig sein, ohne dass dies allein zu einer Unwirksamkeit führt. Der Erblasser kann grundsätzlich also bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit Auflagen ersinnen. Dem Erblasser muss es im Wege der nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Testierfreiheit möglich sein, die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, sodass eine Sittenwidrigkeit einer Bedingung oder Auflage nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden kann. 

Ein solch schwerwiegender Ausnahmefall ist hier anzunehmen. Dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Klägerinnen zufolge war die Beziehung der Klägerin zu 1) zu Herrn L. für die Erblasserin nach deren Auffassung von Sitte und Anstand nicht hinnehmbar, auch deshalb, weil es sich um eine außereheliche Beziehung handelte. Das testamentarisch verfügte Betretungsverbot für Herrn L. schränkt die Klägerinnen und insbesondere die Klägerin zu 1) in einem nicht zu billigenden Maße in ihrer privaten und höchstpersönlichen Lebensführung ein. Die Auflage verfolgt auch nicht den legitimen Zweck, den Grundbesitz der Familie für eben diese erhalten zu wollen und vor dem Zugriff Dritter, insbesondere vor dem Zugriff durch Herrn L., zu schützen. Es ist schon fraglich, inwieweit dieses Ziel mit einem Betretungsverbot sinnvoll erreicht werden kann.

Die streitgegenständliche Auflage verfolgt daher im Ergebnis lediglich das Ziel, die Beziehung der Klägerin zu 1) zu Herrn L. zu erschweren, wenn nicht gar zu unterbinden, indem den Klägerinnen verwehrt wird, diesem Zutritt auf ihre Grundstücke zu gewähren. Die Erblasserin hat daher lediglich versucht, durch die Androhung des Verlustes von zunächst gewährten Vorteilen in einer gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ verstoßenden Weise ein bestimmtes Verhalten der Klägerinnen zu erzwingen, namentlich die nach ihrer Auffassung nicht standesgemäße Beziehung der Klägerin zu 1) und Herrn L. zu unterbinden.

Dieses Urteil ist zu begrüßen und schärft den Blick für die Grenzen der in Testamenten häufig anzutreffenden Auflagen.

Autor/innen

Nicole Wolf-Thomann

Nicole Wolf-Thomann

Counsel

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