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12.12.2023

Keine Ausschreibungspflicht bei der Vergabe von Leistungen der Schulbegleitung nach SGB XII!

Mit Urteil vom 17.05.2023 (AZ: B 8 SO 12/22 R) hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass die Ausschreibung von Leistungen der Integrationshilfe in Schulen für Kinder mit Behinderung (Schulbegleitung) rechtswidrig ist.

Sachverhalt der Entscheidung

Der Entscheidung beim BSG lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Im Jahr 2016 führte die Stadt Düsseldorf als Trägerin der Eingliederungshilfe ein öffentliches Vergabeverfahren zur Erbringung von Schulbegleitungen für Kinder mit Behinderung nach Maßgabe des EU-VergabeR (GWB/VOL/A) durch. Strittig war hierbei, ob die Beklagte (Stadt Düsseldorf) als Träger der Eingliederungshilfe überhaupt ein EU-weites Vergabeverfahren zum Einsatz von Integrationshelfern an Schulen für Kinder mit Behinderungen im Rahmen eines Pool-Modells (mit circa 380 Integrationshelfern an circa 85 Schulen) einleiten durfte. Das Pool-Modell sieht vor, innerhalb einer Schule ein festes Team von Schulbegleitungen einzurichten. Zwei Anbieter erhielten zunächst den Zuschlag für die betreffenden Leistungen. In der Folge betreuten sie sowohl im Schuljahr 2016/2017 als auch in den Schuljahren 2017/2018 bis 2020/2021 die überwiegende Zahl der leistungsberechtigten Schüler über das besagte Pool-Modell. Außerhalb des Pooling-Verfahrens wurden Leistungen seit dem Schuljahr 2016/2017 nur in sieben Fällen in Anspruch genommen.

Gegen die Vergabe der Leistungen im Rahmen eines EU-weiten Vergabeverfahrens klagten sodann frühere Leistungserbringer, welche dieselben Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen bislang nur auf Grundlage von Verträgen nach SGB XII erbringen. Ziel war es, das Vergabeverfahren gerichtlich zu verhindern (Unterlassung) und als solches der damit einhergehenden Zuschlagserteilung als rechtswidrig feststellen zu lassen.

Faktisch waren die Kläger nach der Zuschlagserteilung von weiteren Schulbegleitungen im Zuständigkeitsbereich der Beklagten ausgeschlossen. Das Sozialgericht Düsseldorf wies die Klage der Verbände in der ersten Instanz zunächst ab. Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege legten gegen die Entscheidung Berufung ein. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat sodann die Entscheidung des Sozialgerichts aufgehoben und festgestellt, dass die Durchführung des EU-Vergabeverfahrens und die Zuschlagserteilung rechtswidrig waren. Gegen die Entscheidung des LSG legte die Stadt Düsseldorf sodann Revision vor dem Bundessozialgericht ein.

Entscheidungsgründe

Das BSG hat nunmehr bestätigt, dass die Leistungen (unabhängig von ihrer Eigenschaft als öffentlicher Auftrag oder Konzession) nicht nach den vergaberechtlichen Grundsätzen vergeben werden dürfen.

Das durch das Vergabeverfahren geschaffene Vertragskonstrukt zwischen der Beklagten und den Leistungserbringern führte letztlich dazu, dass die Leistung außerhalb des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses nach den §§ 75 ff SGB XII (bzw. §§ 123 ff SGB IX n.F.) erbracht und vergütet wurde. Das BSG sah dies als nicht rechtskonform an.

Grundlage der Vereinbarungen der Träger der Eingliederungshilfe mit den geeigneten Leistungserbringern sind die gesetzlich festgelegte Kriterien (Leistungsfähigkeit, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit) gem. §§ 75 ff SGB XII a.F. (§§ 123 ff SGB IX n.F.).

Andere Kriterien dürften aus Sicht des BSG bei der Entscheidung des Trägers in Bezug auf den Abschluss einer Vereinbarung gem. §§ 75 ff SGB XII (§§ 123 ff SGB IX n.F.) nicht berücksichtigt werden. Dies betrifft insbesondere Bedarfsgesichtspunkte. Der Leistungsträger darf demnach ein Angebot eines Leistungserbringers nicht unter Hinweis auf fehlenden Bedarf oder unter Verweis auf andere Formen der Leistungserbringung (ggf. infolge einer Ausschreibung) ablehnen, wenn die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Eignung sowie die Leistungsfähigkeit des Trägers nicht entgegenstehen.

Der Vertragsschluss mit einem Leistungserbringer dürfe insbesondere nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass ein anderer Bewerber die Leistung günstiger erbringen kann. Voraussetzung ist, dass die von dem Leistungserbringer geforderte Vergütung dem externen Vergleich (§ 75 Abs. 2 S. 10 bis 13 SGB XII, § 124 Abs. 1 S. 3 bis 6 SGB IX n.F.) standhält. Es handele sich demnach um eine Konstellation, in der alle Wirtschaftsteilnehmer, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, zur Wahrnehmung der Aufgabe - ohne Selektivität - berechtigt sind. Im Gegensatz zum wettbewerblichen Vergabeverfahren handelt es sich hierbei um ein einfaches Zulassungssystem.

Der Leistungserbringung außerhalb des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses stehe das Wunsch- und Wahlrecht der leistungsberechtigten Personen (vgl. § 9 Abs. 2 SGB XII a.F. bzw. § 8 Abs. 1 SGB IX n.F.) entgegen. Dieses Recht umzusetzen, liegt aus Sicht des BSG in der Verantwortung der Eingliederungsträger. Den Träger trifft demzufolge die Pflicht, den Leistungsanspruch der Berechtigten insbesondere auch durch Abschluss vertraglicher Vereinbarungen nach §§ 75 ff SGB XII sicherzustellen (vgl. nunmehr ausdrücklich § 95 SGB IX n.F.). Entscheidend ist insoweit die Pluralität der Leistungserbringer im Sinne des Wunsch- und Wahlrechts. 

In diesem Zusammenhang kann der Aufgabenträger auch nicht seinen Sicherstellungsauftrag verweisen. Dieser berechtigt ihn nach Lesart des BSG nicht dazu, die betreffenden Leistungen nach der (ehemals geltenden) VOL/A vergeben zu können. Der Gesetzgeber verstehe den Sicherstellungsauftrag im SGB XII bzw. SGB IX ausdrücklich als Pflicht der Leistungsträger dazu, Vereinbarungen mit den Leistungsanbietern nach den Vorschriften des SGB XII bzw. des SGB IX abzuschließen. Damit stünde die Vergabe an einzelne wenige Anbieter infolge eines Vergabeverfahrens auch dem Grundsatz der Angebots- und Trägervielfalt entgegen. Letzteres – so das BSG – sei dem Regelungskonzept der §§ 75 ff SGB XII a.F. (§§ 123 ff SGB IX n.F.) immanent.

Fazit

Die Entscheidung dürfte neben der Schulbegleitung auf weitere Leistungen der Eingliederungshilfe, auf welche die Leistungserbringer einen Leistungsanspruch haben (§§ 123 ff. SGB IX n.F.), anwendbar sein. Darüber hinaus gibt es noch weitere Fallgruppen von sozialen Leistungen, bei denen der Gesetzgeber ebenfalls ein einfaches Zulassungssystem vorgesehen hat. Hierunter fallen u.a. Jugendhilfeleistungen (§ 78 b Abs. 2 SGB VIII).

Auf andere Konstellationen lässt sich dieser Grundsatz u.E. nicht ohne weiteres übertragen.

Maßgeblich ist letztlich das sog. Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsempfängers, das durch den Grundsatz der Träger- und Angebotsvielfalt ergänzt wird. Demnach stellt der Sozialleistungsträger die Aufgaben innerhalb des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses sicher. Dies trifft aber viele Leistungen im Sozialbereich nicht zu.

Sonstige Leistungen im Sozialbereich lassen sich allerdings oftmals als soziale oder andere besondere Dienstleistung im Sinne von § 130 GWB einordnen. Für diese Leistungen gilt ein höherer Schwellenwert (derzeit TEUR 750) im Vergleich zu den sonstigen Liefer- und Dienstleistungen (derzeit TEUR 215). Insofern besteht die Möglichkeit – gerade für Leistungen unterhalb des (erhöhten) Schwellenwertes – Leistungen unter den weniger strengen Vorgaben der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) zu beschaffen. Dabei ist aus Bietersicht insbesondere die Vorfeldarbeit (vor einem Vergabeverfahren) – also die Abstimmung mit dem jeweiligen Auftraggeber – von maßgeblicher Bedeutung. Hierdurch besteht die Möglichkeit, diverse Rahmenbedingungen eines Vergabeverfahrens (Zuschlagskriterien, Wahl des Verfahrens etc.) mit dem Auftraggeber vor der Einleitung des Vergabeverfahrens abzustimmen.

Autor/innen

Karin Deichmann

Dr. Karin Deichmann

Senior Associate

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René M. Kieselmann

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Mathias Pajunk

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