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02.09.2021

Pflichtteilsansprüche im Erbrecht und deren Vermeidung

Im deutschen Erbrecht ist durch das Pflichtteilsrecht sichergestellt, dass engste Angehörige wie Kinder (eheliche wie uneheliche) und Ehegatten im Erbfall nicht vom Vermögen des Erblassers ausgeschlossen sein können, sondern dass diesen eine Mindestbeteiligung am Erbe garantiert wird.

Die Erbquote

Vom Erbe ausgeschlossene Pflichtteilsberechtigte werden zwar nicht mehr Teil einer Erbengemeinschaft, jedoch steht ihnen in Höhe der Hälfte ihrer gesetzlichen Erbquote ein Pflichtteilsanspruch zu. Plant beispielsweise ein Ehepaar im Güterstand der Zugewinngemeinschaft eines von zwei Kindern von der Erbfolge auszuschließen, so wäre das enterbte Kind nach dem ersten Erbfall berechtigt, 1/8 des Nachlasswertes gegenüber der Erbengemeinschaft einzufordern, sowie nach dem Tod des überlebenden Ehegatten sogar 1/4.

Die testamentarische Zuweisung einer Erbquote unterhalb der Pflichtteilsquote hilft hier nicht weiter, da der Pflichtteilsberechtigte die Aufstockung seiner Quote im Wege eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs bis zum Erreichen der Pflichtteilsquote geltend machen könnte. Ein Entzug des Pflichtteils im Rahmen einer letztwilligen Verfügung ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich und setzt ein massives Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten voraus.

Aussetzen der Pflichtteilsansprüche

Dennoch kann seitens eines Erblassers das Bedürfnis bestehen, den Erben oder die Erbengemeinschaft keinen Pflichtteilsansprüchen auszusetzen. Dies ist insbesondere der Fall bei sog. Patchwork-Konstellationen oder beim sog. „Berliner Testament“, bei dem sich Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und die gemeinsamen Abkömmlinge zu Schlusserben nach dem Längerlebenden einsetzen.

In beiden Konstellationen dominiert regelmäßig der Wunsch, den überlebenden Ehegatten abzusichern und durch die Zuwendung des Nachlasses zu versorgen. Diese Lösung führt jedoch immer zu einer de facto-Enterbung der direkten ehelichen und außerehelichen Abkömmlinge. Abhängig von der persönlichen Beziehung zwischen Erblasser- und Erbengeneration kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der überlebende Ehegatte Pflichtteilsansprüchen ausgesetzt ist, was vor allem beim Vorhandensein von einseitigen Kindern des Erblassers droht. Ein Minimalschutz ermöglicht in solchen Fällen eine Pflichtteilsstrafklausel der Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament. Diese sieht vor, dass im Falle der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen der Berechtigte auch nach dem Tod des Längerlebenden höchstens auf den Pflichtteil verwiesen wird. Dies kann insbesondere in Patchwork-Konstellationen bei einseitigen Kindern ein sehr scharfes Schwert darstellen, da mangels Pflichtteilsberechtigung nach dem Tod eines nicht-leiblichen Elternteils die komplette Enterbung droht. In solchen Fällen kann eine Teilhabe der einseitigen Kinder des Erstversterbenden am Nachlass des Stiefelternteils (entweder über eine Erbeinsetzung oder ein Quotenvermächtnis) ein verlockendes Angebot darstellen, auf die Geltendmachung des Pflichtteils zu verzichten.

Ein höheres Maß an Sicherheit kann durch einen notariellen Pflichtteilsverzicht des Berechtigten noch zu Lebzeiten des Erblassers erreicht werden. Der Pflichtteilsverzicht erfolgt in diesen Fällen in der Regel gegen Gewährung einer entsprechenden Gegenleistung. Zeigt sich der Pflichtteilsberechtigte jedoch nicht kooperativ, muss über andere Alternativen nachgedacht werden.

Bei der Patchwork-Konstellation zu beachten

Gerade bei Patchwork-Konstellation könnte erwogen werden, dass der leibliche Elternteil des außerehelichen Kindes sein potentielles Nachlassvermögen, welches die Bemessungsgrundlage für den Pflichtteilsanspruch darstellt, durch lebzeitige Zuwendungen schmälert. Hier ist jedoch auf zwei Dinge besonders zu achten:

Erstens sind lebzeitige unentgeltliche Zuwendungen, die innerhalb von 10 Jahren vor dem Erbfall erfolgen, dem Nachlassvermögen zurechnen, so dass die Bemessungsgrundlage für die Pflichtteilberechnung nicht mit letzter Sicherheit reduziert werden kann. Für eine gewisse Erleichterung auf Seiten des Erblassers kann aber hier sorgen, dass sich der hinzuzurechnende Zuwendungsbetrag jährlich um 1/10 reduziert. Verstirbt der Erblasser also z.B. 8 Jahre nach der Zuwendung, sind nur noch 2/10 der Zuwendung bei der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen.

Zweitens kann die 10-Jahres-Abschmelzung nicht bei Zuwendungen an den Ehegatten zur Anwendung kommen. In diesen Fällen beginnt die 10-Jahres-Frist erst mit Beendigung der Ehe, was im Falle des Todes des Ehegatten dazu führt, dass selbst Zuwendungen die deutlich länger als 10 Jahre vor dem Tod des Zuwendenden vorgenommen wurden, ungeschmälert in die Berechnungsgrundlage des Pflichtteils einfließen. Dieser Nachteil könnte sich aber durch eine sog. Güterstandschaukel beheben lassen. Dabei wechseln die Ehepartner kurzfristig von der Zugewinngemeinschaft in die Gütertrennung und im Anschluss wieder zurück in die Zugewinngemeinschaft. Rechtsfolge ist, dass der Ehepartner mit dem niedrigeren Zugewinn einen Ausgleichsanspruch gegenüber den anderen Ehegatten erhält. Diese Forderung stellt einen gesetzlichen Anspruch dar, so dass dessen Erfüllung m.E. nicht als unentgeltliche Zuwendung zu qualifizieren ist. Daher könnte in diesen Fällen auch durch eine Vermögensverschiebung zwischen den Ehegatten eine Reduzierung der Pflichtteilbemessungsgrundlage erreicht werden.

Jedoch gilt für die Fälle der Pflichtteilsvermeidung und –reduzierung das gleiche, wie für den Bereich der Nachfolgeplanung insgesamt: eine frühzeitige Planung zu Lebzeiten ist unabdingbar, um unerwünschte Streitigkeiten und unerfreuliche finanzielle Folgen nach dem Tod des Erblassers zu vermeiden.

Autor/innen

Stefan Skulesch

Stefan Skulesch

Partner

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