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16.01.2023

Neues von EuGH und BAG zum Urlaubsrecht

Keine Verjährung von Urlaubsansprüchen ohne Aufklärung und Hinweise durch den Arbeitgeber

Das Ende des Jahres 2022 hat für ein neues Highlight im Urlaubsrecht durch Entscheidungen von EuGH und BAG gesorgt. Die Entscheidungen betreffen insbesondere solche Konstellationen, in denen ein Arbeitnehmer* beim Arbeitgeber* ausgeschieden ist und nun Abgeltungszahlungen für in der Vergangenheit nicht genommenen Urlaub verlangt. Sie werden aber auch relevant für nicht genommenen Urlaub im laufenden Arbeitsverhältnis. Soweit die Drei-Jahres-Frist aus § 195 BGB abgelaufen ist, wird ein Arbeitgeber die Einrede der Verjährung erheben. Dies haben EuGH und BAG nun erheblich erschwert. Zuvor war das Erfüllen bestimmter Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten durch den Arbeitgeber lediglich für die Frage des Verfalls von Urlaub relevant. Nach der neuen Rechtsprechung ist die Erfüllung derartiger Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nun aber auch für die Frage der Verjährung von Urlaubsansprüchen maßgeblich.

I. Bisheriger Stand der Rechtsprechung: Kein Verfall von Urlaub bei unterlassenem Hinweis des Arbeitgebers
Nach deutschem Recht muss Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG). Eine Übertragung des Urlaubs in das nächste Kalenderjahr ist lediglich aus dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen möglich (§ 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG). Im Falle einer solchen Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des Folgejahres (d.h. bis zum 31. März) gewährt und genommen werden, anderenfalls verfällt der Urlaubsanspruch (§ 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG).

Diese recht klaren Regelungen wurden jedoch in den letzten Jahren durch die Rechtsprechung von EuGH und BAG massiv beeinflusst. Denn das deutsche Urlaubsrecht wird maßgeblich durch die Vorgaben des europäischen Rechts und dabei insbesondere die europäische Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) geprägt. So setzt der Verfall von Urlaubsansprüchen nach den Entscheidungen des EuGH vom 06.11.2018 (C-684/16) und des BAG vom 19.02.2019 (9 AZR 541/15) zusätzlich voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgeklärt und bestimmte Hinweise erteilt hat. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert haben, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen haben, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums erlischt.

II. Entscheidung des EuGH vom 22.09.2022: Keine Verjährung bei Nicht-Ermöglichung der Inanspruchnahme von Urlaub
Diese zuvor für den Verfall des Urlaubs entwickelten Grundsätze hat der EuGH nun auch auf die Fälle der Verjährung erstreckt. Der EuGH hat am 22.09.2022 (C-120/21) entschieden, dass der Urlaubsanspruch gemäß Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitlichtlinie nicht verjähren darf, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Ein anderes Ergebnis verstoße gegen den grundrechtlichen Schutz des Urlaubs im europäischen Recht (Art. 31 Abs. 2 Grundrechte-Charta). Der Schutz des Urlaubs verdiene Vorrang vor dem Interesse des Arbeitgebers an Rechtssicherheit, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Inanspruchnahme von Urlaub nicht hinreichend ermöglicht hat. Denn in diesen Fällen habe der Arbeitgeber sich selbst in die Situation gebracht, dass er mit Urlaubsansprüchen aus der Vergangenheit konfrontiert wird.

III. Entscheidung des BAG vom 20.12.2022: Keine Verjährung von Urlaub bei unterlassenem Hinweis des Arbeitgebers
Mit Entscheidung vom 20.12.2022 (9 AZR 266/20) hat das BAG die Entscheidung des EuGH umgesetzt und eine richtlinienkonforme Auslegung des deutschen Rechts vorgenommen. Gemäß dem BAG ist für die Verjährung von Urlaubsansprüchen zwingend erforderlich, dass der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten eingehalten hat.

Die Vorschriften zur Verjährung (§§ 194 Abs. 1, 195, 214 Abs. 1 BGB) finden zwar grundsätzlich auch auf den Urlaubsanspruch aus §§ 1, 3 BUrlG Anwendung. Demnach verjähren auch Urlaubsansprüche grundsätzlich nach Ablauf von drei Jahren. Entscheidend ist jedoch die Frage, wann die dreijährige Verjährungsfrist beginnt. Grundsätzlich beginnt die Verjährungsfrist bereits mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (s. dazu § 199 Abs. 1 BGB). Für den Urlaubsanspruch soll jedoch gemäß der Entscheidung des BAG etwas anderes gelten. Die Verjährung von Urlaubsansprüchen beginnt demnach erst mit Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

IV. Ausblick
Aus Arbeitgebersicht ist es nunmehr wichtiger denn je, den Arbeitnehmer entsprechend den Vorgaben der Rechtsprechung zum Nehmen des Urlaubs aufzufordern und ihn auf den ansonsten drohenden Verfall der Urlaubsansprüche hinzuweisen. Da die Verjährungsfrist erst zu laufen beginnt, wenn diese Aufforderung und Hinweise erfolgt sind, sollte im Falle bisher unterlassener Hinweise geprüft werden, die Hinweise nachzuholen. Ein Nachholen der Hinweise soll jedenfalls laut Pressemitteilung des BAG möglich sein. Es bleiben die Entscheidungsgründe des BAG-Urteils abzuwarten. In taktischer Hinsicht wird freilich zu bedenken sein, inwieweit der Arbeitgeber hierbei schlafende Hunde wecken möchte.

Problematisch wird die Situation für den Arbeitgeber, wenn er sich infolge unterbliebener Hinweise mit – mitunter lange Zeit zurückreichenden – Urlaubs(abgeltungs)ansprüchen konfrontiert sieht, noch bevor seit dem Erteilen der Hinweise die Verjährungsfrist abgelaufen ist. Weder Urlaubsverfall noch -verjährung können den Arbeitgeber in dieser Situation retten. Ob die Rechtsprechung einen Verfall kraft arbeitsvertraglichen oder tariflichen Ausschlussfristen zulassen wird, ist nicht abschließend geklärt und darf bezweifelt werden. Als letzte Rettung kämen die Grundsätze der Verwirkung in Betracht. Ob deren strenge Voraussetzungen vorliegen, wird aber oftmals wenigstens fraglich sein. Jedem Arbeitgeber kann damit nur geraten werden, die Aufklärungs- und Hinweisobliegenheiten bereits von vornherein rechtzeitig zu erfüllen.

Spannend bleibt die Frage, inwieweit für den Arbeitgeber Gestaltungsspielräume hinsichtlich eines etwaigen vertraglichen Zusatzurlaubs bestehen.

* Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. Allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet.

Autor/innen

Martin Braun

Dr. Martin Braun

Associate

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