Das in Deutschland bereits 2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) zielte darauf ab, Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen durchzusetzen. Am 6. Juni 2023 trat die europäische Richtlinie zur Stärkung der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen (EntgTranspRL) durch erhöhte Transparenz und Durchsetzungsmechanismen in Kraft. Diese neue Richtlinie bringt umfassende Änderungen mit sich, die über die derzeitigen Regelungen des deutschen EntgTranspG hinausgehen. Die Mitgliedstaaten sind nun gefordert, die Richtlinie bis zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umzusetzen. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die wesentlichen Unterschiede zwischen dem aktuellen deutschen EntgTranspG und den neuen Regelungen der europäischen Richtlinie sowie Handlungstipps für Unternehmen.
Das deutsche EntgTranspG
- Individueller Auskunftsanspruch: Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitenden haben das Recht, Informationen über die Kriterien und Verfahren zur Entgeltfindung sowie das Vergleichsentgelt für ihre Tätigkeitsgruppe zu erhalten.
- Berichtspflicht zur Gleichstellung: Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, die lageberichtspflichtig sind, müssen regelmäßig über die Gleichstellung und Entgeltgleichheit berichten.
- Betriebliche Prüfungsverfahren: Unternehmen müssen betriebliche Prüfungen zur Überprüfung der Entgeltgleichheit durchführen.
Neue Regelungen durch die EntgTranspRL
Die EntgTranspRL zielt ebenfalls auf die Durchsetzung der Entgeltgleichheit ab, geht jedoch deutlich über die bestehenden Regelungen des EntgTranspG hinaus. Im Einzelnen enthält sie u.a. folgende Maßnahmen:
- Entgelttransparenz vor der Beschäftigung (Art. 5): In Zukunft müssen Arbeitgeber bei Stellenausschreibungen und Vorstellungsgesprächen Angaben zum betriebsüblichen Einstiegsgehalt für die jeweilige Position oder dessen Spanne machen. Bewerber dürfen nicht nach ihrem bisherigen Gehalt gefragt werden. Dies trifft alle Arbeitgeber unabhängig von ihrer Mitarbeiterzahl. Im Gegensatz dazu gilt das deutsche EntgTranspG erst nach Beginn des Arbeitsverhältnisses.
- Informationspflichten während des Arbeitsverhältnisses (Art. 6): Arbeitgeber mit mindestens 50 Beschäftigten müssen ihre Mitarbeitenden unaufgefordert über die Kriterien zur Festlegung ihres Entgelts, ihrer Entgelthöhen und ihrer Entgeltentwicklung informieren. Diese Kriterien müssen objektiv und geschlechtsneutral sein. Für Arbeitgeber unter 50 Beschäftigten können die Mitgliedstaaten eine Ausnahme hiervon machen. In jedem Fall stellt dies eine deutliche Verschärfung gegenüber dem EntgTranspG dar, das nur auf Anfrage und in Unternehmen mit mindestens 200 Mitarbeitenden einen Auskunftsanspruch vorsieht.
- Individuelles Auskunftsrecht (Art. 7): Mitarbeitende haben das Recht, schriftlich Auskunft über ihre individuelle Entgelthöhe und die durchschnittlichen Entgelthöhen – aufgeschlüsselt nach Geschlecht – für vergleichbare Tätigkeiten zu verlangen. Die Informationen müssen spätestens innerhalb von zwei Monaten bereitgestellt werden. Dies erweitert den bestehenden Auskunftsanspruch des EntgTranspG, der sich bisher auf den statistischen Median als „Vergleichsentgelt“ beschränkt.
- Erweiterte Berichtspflichten (Art. 9): Die Richtlinie erweitert die bestehenden Berichtspflichten auf Arbeitgeber mit mindestens 100 Beschäftigten. Unternehmen müssen regelmäßig über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle und andere relevante Entgeltinformationen berichten und diese veröffentlichen.
- Gemeinsame Entgeltbewertung (Art. 10): Arbeitgeber müssen gemeinsam mit Arbeitnehmervertretern eine Entgeltbewertung vornehmen, wenn ein sich ein Unterschied bei der durchschnittlichen Entgelthöhe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Höhe von mindestens 5 Prozent in einer Gruppe von Arbeitnehmern ergibt und dieser nicht innerhalb von sechs Monaten korrigiert wird.
- Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung (Art. 16): Mitarbeitende, die durch die Verletzung von Entgeltgleichheitsrechten einen Schaden erlitten haben, können Schadensersatz oder Entschädigung verlangen. Dies umfasst die vollständige Nachzahlung entgangener Entgelte sowie Schadensersatz für entgangene Chancen und immaterielle Schäden.
- Beweislastumkehr (Art. 18): Bei Verdacht auf Entgeltdiskriminierung muss der Arbeitgeber nachweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt. Diese Beweislastumkehr ist bereits im deutschen AGG verankert und wird durch die Richtlinie weiter gestärkt.
- Sanktionen (Art. 23): Die Mitgliedstaaten müssen wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen die Entgeltgleichheitsvorschriften festlegen. Dies können beispielsweise Geldbußen sein.
Fazit
Die europäische EntgTranspRL stellt einen bedeutenden Schritt zur Förderung der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen dar. Sie erweitert die bestehenden Regelungen des deutschen EntgTranspG und bringt neue Verpflichtungen und Herausforderungen für Arbeitgeber mit sich. Die Zeit bis zur Umsetzung der Richtlinie sollten Unternehmen nutzen, um sich auf die neuen Anforderungen vorzubereiten und ihre Entgeltstrukturen entsprechend anzupassen. Bestehende Gehaltstrukturen sollten auf geschlechtsneutrale und objektive Kriterien überprüft werden, Bewerbungsprozesse sollten angepasst werden (beispielsweise durch Standardisierung der Abläufe, spezifische Schulungen der Personalabteilung) und – falls noch nicht vorhanden – sollte ein rechtskonformes Vergütungssystem eingeführt werden.