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11.03.2024

Das geänderte Abstandsflächenrecht für Windenergieanlagen ...

… Berufen auf „optisch bedrängende Wirkung“ nur (noch) in atypischen Sonderfällen möglich

Ja, das ist so ein Thema mit Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien – Wind, Sonne, Erdwärme usw. Dass wir sie brauchen ist klar, aber… Vielerorts wurde durch Nachbarn erfolgreich gegen Windenergieanlagen geklagt, weil diese zwar planerisch zulässig waren, wegen ihrer Größe und Gestalt aber im Sinne der „Rücksichtslosigkeits“-Lehre im Einzelfall – in vielen Einzelfällen – als optisch bedrängend eingestuft und somit für unzulässig erklärt wurden. Im wahrsten Sinne des Wortes ist das ja auch „Ansichtssache“. Der Bundesgesetzgeber ist eingeschritten.

1.  Altes Problem – neues Gesetz

Im Rahmen des „Gesetzes zur sofortigen Verbesserung der Rahmenbedingungen für die erneuerbaren Energien im Städtebaurecht“ vom 04. Januar 2023 wurden unter anderem mehrere Regelungen in das Baugesetzbuch (BauGB) aufgenommen, die die Planung und Errichtung von Windenergieanlagen (WEA) deutlich erleichtern. So enthält der neu eingefügte § 249 Abs. 10 BauGB eine für die „einzelfallverliebte“ Juristerei ungewohnt verbindliche Methode zur Ermittlung der Abstandsflächen, bei deren Einhaltung eine „optisch bedrängende Wirkung“ einer WEA in der Regel verneint wird.

Danach steht „der öffentliche Belang einer optisch bedrängenden Wirkung […] einem Vorhaben nach § 35 Absatz 1 Nummer 5, das der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dient, in der Regel nicht entgegen, wenn der Abstand von der Mitte des Mastfußes der Windenergieanlage bis zu einer zulässigen baulichen Nutzung zu Wohnzwecken mindestens der zweifachen Höhe der Windenergieanlage entspricht. Höhe im Sinne des Satzes 1 ist die Nabenhöhe zuzüglich Radius des Rotors.“

Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass sich Anwohner, die sich gegen eine Genehmigung zur Errichtung und Betreib einer WEA in der Nähe ihres Wohnhauses zur Wehr setzen wollen, in der Regel nicht (mehr) auf eine „optisch bedrängenden Wirkung“ berufen können, wenn sich die WEA in doppelt so großer Entfernung befindet, wie die WEA hoch ist. Zu vergegenwärtigen ist aber, dass es sich um WEA im Außenbereich handelt, die nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegiert sind. Im Innenbereich oder in Bebauungsplangebieten gilt diese Regelung nicht.

Die Entscheidung, ob eine WEA eine „optisch bedrängenden Wirkung“ hervorruft, bedurfte vor der Einführung des § 249 Abs. 10 BauGB nach ständiger Rechtsprechung stets einer Würdigung aller Einzelfallumstände. Betrug die Entfernung zwischen Wohnbebauung und WEA das zwei- bis dreifach der WEA, bedurfte es regelmäßig einer besonders intensiven Prüfung des Einzelfalls. Dabei wurde neben dem Abstand zwischen Wohnbebauung und WEA auch weitere Kriterien wie Standtort, Blickwinkel, Hauptwindrichtung, (Außenbereichs-)Lage des Wohngrundstücks und Lage der Fenster berücksichtigt (z.B. OVG Münster, Beschluss vom 26.07.2017 - 8 B 396/17, OVG Greifswald, Beschl. v. 12.04.2023 – 5 KM 559/22 OVG).

Durch die Einführung des § 249 Abs. 10 BauGB sollte das Verbot der „optisch Bedrängenden Wirkung“, welches zuvor aus dem planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebot hergeleitet wurde, erstmalig gesetzlich geregelt und zugleich begrenzt werden (BR-Drs. 503/22, S.17).

2. Schwierigkeiten bei der Anwendung 

Die Formulierung „in der Regel“ ließ beziehungsweise lässt in der Praxis jedoch einige Frage offen, die sich weder aus der Gesetzesbegründung, noch aus der bisher (Stand März 2024) kaum vorhandenen Kommentarliteratur beantworten lassen. Fraglich war insbesondere, ob die zuvor regelmäßig heranzuziehenden weiteren Einzelfallumstände wie die Ausrichtung der Fenster, die Lage der Terrasse und etwaige Sichtschutzeffekte z.B. durch Baumgruppen weiterhin regelmäßig zu berücksichtigen sind.

Diese Frage wurde zuletzt durch eine Entscheidung im Eilverfahren des OVG Münster (Beschl. v. 09.06.2023 – 8 B 230/23.AK) beantwortet. Im Ausgangsverfahren wendete sich der Antragsteller gegen die Errichtung und den Betrieb einer WEA mit einer Gesamthöhe von 200 m an einem ca. 413 m von seinem Wohnhaus entfernten Standort. Der Genehmigungsbescheid sah ursprünglich als Nebenbestimmung sichtschützende Baumanpflanzungen zugunsten des Antragstellers vor. Während des Klageverfahrens gegen den Genehmigungsbescheid hob der Antragsgegner diese Nebenbestimmung unter Bezugnahme auf § 249 Abs. 10 BauGB auf. Hiergegen setzte sich der Antragsteller im Ausgangsverfahren erfolglos zur Wehr. Auch im Rechtsmittel blieb der Antragsteller ohne Erfolg. 

Zur Begründung führte das OVG aus, dass – entsprechend den Gesetzgebungsmaterialien – eine optisch bedrängende Wirkung nur ausnahmsweise in Betracht käme, wenn andernfalls die Schwelle der Zumutbarkeit aufgrund besonderer Umstände überschritten werden würde. Die in § 249 Abs. 10 BauGB enthaltene Formulierung „in der Regel“ sei eine gesetzliche Vermutung. Eine Abweichung setze einen atypischen, vom Gesetzgeber so nicht vorhergesehenen Sonderfall voraus. Das Fehlen sichtschützenden Baumbestandes gehört wohl nicht dazu.

Denn im Gesetzgebungsverfahren zur Normierung der Maßstäbe für eine optisch bedrängende Wirkung von WEA sei bereits berücksichtigt worden, dass sich diejenigen Aspekte, die in tatsächlicher Hinsicht für die Beurteilung einer optisch bedrängenden Wirkung relevant seien, stark unterscheiden könnten. Dazu zählten insbesondere die jeweiligen konkreten Ausgestaltungen der WEA, der Wohnbebauung und der Topographie in der Umgebung der Anlage oder des betroffenen Wohngrundstücks. Bei Wohnhäusern könne die Ausrichtung der Fenster von Wohnräumen, die Lage von Terrassen und etwaige Sichtschutzeffekte etwa durch Vegetation (Einzelbäume, Baumgruppen, Waldbestand) oder bauliche Anlagen variieren, was dem Gesetzgeber bekannt gewesen sei. Der Gesetzgeber habe sich bei § 249 Abs. 10 BauGB jedoch bewusst dafür entschieden, dass eine unzumutbare optisch bedrängende Wirkung nur in atypischen Konstellationen angenommen werden könne. Würde man diese zuvor genannten Faktoren weiterhin im Einzelfall zu einem abweichenden Ergebnis führen lassen, würde dies dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 10 BauGB (Reduzierung der Hemmnisse für den Windenergieanlagenausbau) zuwiderlaufen.  

Im Ergebnis ist damit ein Berufen auf eine „optisch bedrängende Wirkung“ bei Einhaltung der in § 249 Abs. 10 BauGB vorgesehenen Abstandsflächen nur noch in absoluten Ausnahmefällen erfolgversprechend. Unter welchen Umständen ein solcher Ausnahmefall angenommen wird, muss die Rechtsprechung konkretisieren. Vermutlich kommen nur Konstellationen in Betracht, bei denen gleich mehrere der bereits vorausgesehenen ungünstigen Umstände aufeinandertreffen oder solche, bei denen der an sich einkalkulierte ungünstige Faktor sich außergewöhnlich drastisch auswirkt, z. B. wenn das betroffene Haus deutlich tiefer in der Landschaft liegt als die WEA. Spannend ist die Frage ob die Formel (2xHöhe = zumutbarer Abstand) indirekt auch für andere WEA-Projekte etwa im Innenbereich analog Anwendung finden wird.

Die Projektentwickler für WEA haben durch die neue Vorschrift deutlich größere Planungssicherheit und können sich gegen Nachbarklagen deutlich besser zur Wehr setzen. Es sollte aber gleichwohl im wahrsten Sinne des Wortes stets mit „Augenmaß“ gebaut werden, denn jede im nachbarlichen Verhältnis akzeptierte WEA dient der Akzeptanz der Windenergie als wichtige Faktor einer nachhaltigen Energiewirtschaft – das dient uns allen.

Autor/innen

Maria Rothämel

Maria Rothämel

Senior Associate

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