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05.05.2020

Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Nutzung von Twitter

Für viele Unternehmen gehört das Unterhalten eines Twitter-Accounts zu einer zeitgemäßen Außendarstellung. Über etwaige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats hinsichtlich des „Ob“ wird dabei selten nachgedacht – eventuell auch deshalb, weil das Bundesarbeitsgericht bis dato die Frage einer Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG in diesem Zusammenhang nicht geklärt hat, obgleich die Chance dazu bestand.

BAG, Beschluss vom 25.02.2020, Az. 1 ABR 40/18, sowie LAG Hamburg, Beschluss vom 13.09.2018, Az. 2 TaBV 5/18

Die Arbeitgeberin betreibt bundesweit durch verschiedene Tochtergesellschaften in insgesamt 30 Betriebsstätten sogenannte Multiplex-Kinos. Der Gesamtbetriebsrat ist auf Grundlage eines Tarifvertrags gemäß § 3 BetrVG allein für die Kinobetriebe der Tochterunternehmen der Arbeitgeberin gebildet. Die Arbeitgeberin unterhält einen Account auf der Internetplattform Twitter. Dieser ist keinem der einzelnen Kinos zugeordnet, sondern wird unternehmensübergreifend für alle Kinobetriebe genutzt. Der Account wird durch eigene Mitarbeiter der Arbeitgeberin („Social Media Team“) in der Unternehmenszentrale betrieben.

Nach Bekanntwerden der Entscheidung des BAG vom 13.12.2016 (Az. 1 ABR 7/15) zur betrieblichen Mitbestimmung bei Facebook leitete der Gesamtbetriebsrat ein Beschlussverfahren zur Deaktivierung des Twitter-Accounts der Arbeitgeberin ein und beantragte, die Nutzung von Twitter bis zu einer abweichenden Vereinbarung der Beteiligten zu untersagen. Nach seiner Ansicht unterliege auch die Nutzung von Twitter durch die Arbeitgeberin, analog zur Entscheidung des BAG bezüglich der Nutzung von Facebook, der Mitbestimmung des Gesamtbetriebsrats. Bei der von der Arbeitgeberin betriebenen Twitter-Seite mit den dort eröffneten Funktionen „Antwort“, „Retweet“ und „Erwähnung“ handele es sich um eine technische Einrichtung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, die zur Überwachung der Leistung und des Verhaltens der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer bestimmt sei. Dieses Mitbestimmungsrecht habe die Arbeitgeberin verletzt. Die genannten Funktionen ermöglichen es den Nutzern von Twitter, Postings zum Verhalten und zur Leistung der bei dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer auf der Seite der Arbeitgeberin einzustellen. Je nach Inhalt dieser Beiträge könnten diese namentlich oder situationsbedingt bestimmten Arbeitnehmern zugeordnet werden. Solche Beiträge könnten in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer eingreifen. Es entstehe ein ständiger Überwachungsdruck. Die Twitter-Seite sei damit zur Überwachung bestimmt.

Die Arbeitgeberin hingegen lehnte die Deaktivierung weiter ab und beantragte, den Antrag zurückzuweisen. Nach Ansicht der Arbeitgeberin stehe dem Gesamtbetriebsrat der begehrte Unterlassungsanspruch nicht zu, die Veröffentlichungen auf Twitter seien nicht mitbestimmungspflichtig. Twitter unterscheide sich in seinen Funktionen von Facebook und anderen Social-Media-Plattformen in einem wesentlichen Punkt: Die Nutzer setzten nur eigene Nachrichten („Tweets“) ab und richteten diese an andere Personen. Twitter beinhalte daher stets nur eigene Beiträge der Nutzer von ihren jeweiligen Accounts. Sie, die Arbeitgeberin, schreibe („twittere“) über interessante Angebote, neue Kinofilme usw. Was Nutzer hingegen über ihre Unternehmen twitterten, könne von ihr nicht beeinflusst werden, da dies nicht „auf“ der eigenen Twitter-Seite von der Arbeitgeberin geschehe, sondern bei den einzelnen Nutzern. Sie habe damit keine Möglichkeit, Nutzern das Twittern über oder an sie zu untersagen oder dies technisch zu unterbinden. Lediglich das Löschen ihres eigenen Twitter-Auftritts wäre eine Möglichkeit, keinerlei Nachrichten mehr über diesen Social-Media-Dienst zu erhalten.

Das LAG Hamburg entschied, dass der Antrag des Gesamtbetriebsrats sowohl zulässig als auch begründet sei. Der Unterlassungsanspruch des Betriebsrats folge aus § 87 Abs. 1 BetrVG. Denn die Arbeitgeberin habe das Mitbestimmungsrecht des Gesamtbetriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG verletzt, indem sie für ihre Kinobetriebe einen Twitter-Account einrichtete und nutzte, da nach dieser Norm eine Zustimmung erforderlich sei, soweit technische Einrichtungen genutzt werden, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen. Twitter beinhalte nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten die Funktion „Antwort“, die, anders als die Funktion „Besucher-Beiträge“ bei Facebook, von den Nutzern nicht deaktiviert werden könne. Die Funktion „Antwort“ ermögliche es den Twitter-Nutzern, auf die Tweets der Arbeitgeberin Antworten zum Verhalten und zur Leistung der Arbeitnehmer auf Twitter einzustellen. Diese Antworten seien sowohl für die Arbeitgeberin als auch für registrierte Twitter-Nutzer sichtbar. Je nach dem Inhalt der Antwort könne die Arbeitgeberin diese namentlich oder situationsbedingt einem bestimmten Arbeitnehmer zuordnen und zur Verhaltens- und Leistungskontrolle verwenden, sofern die Nachricht entsprechende Aussagen beinhalte. Der Umstand, dass es sich dabei um Antworten auf Tweets der Arbeitgeberin handele, rechtfertige keine andere Bewertung. Das Mitbestimmungsrecht setze nicht voraus, dass die technische Einrichtung auf die Überwachung der Leistung und des Verhaltens der Arbeitnehmer ausgerichtet ist oder dass der Arbeitgeber eine solche beabsichtigt. Überwachung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sei bereits das Sammeln von Daten, die Aussagen zum Verhalten und zur Leistung von Arbeitnehmern beinhalten. Ob die Arbeitgeberin eine Auswertung und weitere Verarbeitung dieser Daten beabsichtige, sei unerheblich.

Die Arbeitgeberin hatte gegen den Beschluss Rechtsbeschwerde vor dem BAG eingelegt. Mit der Kernfrage des Falles beschäftigte sich das BAG jedoch nicht, weil es die Anträge des Gesamtbetriebsrats bereits aus formalen Gründen als unzulässig ansah. Dabei wäre analog zur bereits genannten „Facebook-Entscheidung“ des BAG eine höchstrichterliche Klärung im Zusammenhang mit der – mittlerweile nahezu flächendeckenden – Nutzung von Twitter auch durch Unternehmen wünschenswert gewesen. Angesichts der bislang ergangenen Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen ist aber davon auszugehen, dass der Betriebsrat auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei der Nutzung von Twitter durch Arbeitgeber mitzubestimmen hat. Denn „dazu bestimmt“ ist nach der Rechtsprechung nicht nur der zielgerichtete Einsatz von technischen Einrichtungen zur Mitarbeiterüberwachung. Vielmehr reicht es aus, dass die technische Einrichtung – unabhängig vom subjektiven Nutzungszweck – zur Überwachung geeignet ist. Dies dürfte bei der Nutzung von Twitter der Fall sein. Arbeitgebern ist daher zu raten, im Zusammenhang mit der Einrichtung von Twitter-Accounts vorab eine Einigung mit dem Betriebsrat zu erzielen, um nachträglichen gerichtlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen.