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12.10.2020

Zeiterfassung via Fingerabdruck?

Mit Urteil vom 14. Mai 2019 (C-55/18) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Mitarbeiter gemessen werden kann. Wie genau diese Verpflichtung in Deutschland umgesetzt werden soll, ist bislang vom deutschen Gesetzgeber noch nicht entschieden. Dass zumindest ein Zeiterfassungssystem mittels Fingerabdruck in Deutschland im Grundsatz nicht zulässig ist, hat das LAG Berlin-Brandenburg mit seiner Entscheidung im Juni 2020 klargestellt.

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Juni 2020, Az. 10 Sa 2130/19

Der Sachverhalt

Im vorliegenden Fall trugen die Mitarbeiter der Beklagten bislang auf einem ausgedruckten und ausliegenden Dienstplan per Hand sowohl ihre geleisteten Arbeitszeiten als auch ihre Einsatzwünsche ein. Für Zwecke der Abrechnung und um einen wöchentlichen sowie den Wünschen der Mitarbeiter entsprechenden Dienstplan erstellen zu können, führte die Beklagte zum 1. August 2018 das Zeiterfassungsmodell "Zeus" nebst einer Personal-Einsatzplanung ein. Zu dem System gehört auch ein Terminal, mit dem eine Identifikation über einen biometrischen Fingerabdruck erfolgt. Die Beschäftigten wurden per E-Mail und unter Beifügung eines Datenblatt und einer Konformitätserklärung darüber informiert, dass das neue Zeiterfassungssystem ab dem 1. August 2018 in Betrieb genommen werde. Die Mitarbeiter wurden darauf hingewiesen, dass das System keine vollständigen Fingerabdrücke speichere - die Minutien (feine Merkmale des Fingerabdrucks, d.h. Endpunkte und Verzweigungen der Papillarleisten, also der Hautrillen auf der Oberhaut des menschlichen Fingers) hingegen schon. Diese würden in einen Zahlen-Code umgewandelt. Aus diesen ließen sich aber weder die Minutien noch ein Fingerabdruck der Mitarbeiter reproduzieren. Es sei auch nicht möglich, diesen Zahlen-Code aus dem System auszulesen. Der Kläger benutzte das Zeiterfassungssystem im August und September 2018 nicht. Er erfasste seine Arbeitszeiten weiter in der bisherigen Form. Darauf erteilte die Beklagte dem Kläger zwei Abmahnungen. Der Kläger hielt die Abmahnungen nicht für gerechtfertigt und begehrte deren Entfernung aus der Personalakte.

Wie urteilte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg?

Das Arbeitsgericht Berlin hat der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Entfernung der Abmahnung verurteilt. Auch die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Der Beklagten sei es nicht gelungen darzulegen, dass der Kläger mit dem in den Abmahnungen gerügten Verhalten seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat. Minutien seien entgegen der von der Beklagten in der Berufungsverhandlung geäußerten Ansicht biometrische Daten. Bei ihnen handele es sich zwar "nur" um Fingerlinienverzweigungen, sodass der dazugehörige Fingerabdruck nicht "als Ganzes" bearbeitet wird. Nach Art. 4 Nr. 14 der europäischen DS-GVO sind biometrische Daten aber alle mit speziellen technischen Verfahren gewonnene personenbezogene Daten unter anderem zu den physischen und psychologischen Merkmalen einer natürlichen Person, die die eindeutige Identifizierung der natürlichen Person ermöglicht oder bestätigt. Das sei bei Minutien der Fall. Die Beklagte verkenne mit ihrer Argumentation in der Berufung den Regelungsgehalt der DS-GVO. Art. 9 Abs. 1 DS-GVO regele ausdrücklich, dass die Verarbeitung von biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person untersagt ist. Zwar gebe es hierzu einzelne Ausnahmen. Im vorliegenden Falle komme jedoch allein die Ausnahme nach Art. 9 II b DS-GVO im Betracht, wonach die Verarbeitung erforderlich sein müsste, damit die Beklagte oder der Kläger die ihnen aus dem Arbeitsrecht erwachsenden Rechte ausüben und ihren diesbezüglichen Pflichten nachkommen können, soweit dies nach Unionsrecht, nach nationalem Recht oder einer Kollektivvereinbarung zulässig ist. Zwar sind nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH vom 14. Mai 2019 Arbeitgeber dazu verpflichtet, ein System einzurichten, mit denen die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Es sei aber nicht ersichtlich, dass ein solches System zwingend der Verarbeitung biometrischer Daten des Klägers (oder anderer Mitarbeiter) bedarf. Insoweit sei darauf hinzuweisen, dass die derzeitige Technologie verschiedensten andere Systeme zur Erfassung der Arbeitszeit ermöglicht (Aufzeichnungen in Papierform, Computerprogramme, elektronische Zeitausweise). Eine Rechtfertigung ergebe sich auch nicht aus § 26 BDSG, auch diese Vorschrift stellt auf die Erforderlichkeit der jeweiligen Datenerhebung ab.

Das LAG Berlin-Brandenburg hat die Revision nicht zugelassen. Es ist eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG mit dem Aktenzeichen 10 AZN 708/20 anhängig.

Praxishinweis

Im vorliegenden Fall hielt das Gericht die Zeiterfassung mittels der Aufzeichnung biometrischer Daten für unzulässig, weil diese auch auf einem anderen, datenschutzrechtlich weniger einschneidenden Weg ohne weiteres möglich sei. Nur dann, wenn ein Arbeitgeber darlegen kann, dass eine Aufzeichnung mittels Fingerabdruck und somit mittels biometrischer Daten zwingend erforderlich ist, wären Fingerabdruck-Scanner in Zeiterfassungssystemen denkbar. Angesichts der zahlreichen alternativen technischen Zeiterfassungsmöglichkeiten werden Gerichte an eine solche Darlegung jedoch hohe Anforderungen stellen. In der Praxis dürfte die Aufzeichnung von Fingerabdrücken oder auch nur der Minutien zu Zeiterfassungszwecken daher nur in besonderen Einzelfällen zulässig sein.

Autor/innen

Sabrina Hochbrückner

Sabrina Hochbrückner

Senior Associate

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