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31.03.2017

Wohl und Wehe von „Industrie 4.0“

Die Begeisterung für das mittlerweile technisch Mögliche verdrängt immer mehr die Eigenverantwortung für unser Tun und das Gehirn wird zunehmend ausgeschaltet. Alles soll einfacher und schneller werden. In naher Zukunft werden wir daher also mit dem Smart Car vom Smart Home zum Smart Office fahren, und das alles in einer Smart City. Zum Smart Court brauche ich dann als Anwalt auch nicht mehr fahren, da Smart Justice ja zukünftig ebenfalls von Programmen übernommen werden soll. George Orwell lässt grüßen …

Bleiben wir beim immer smarter werdenden Auto. Bereits jetzt verfügen Fahrzeuge z.B. über aktive Bremsassistenten, die via Radarsensoren und Kamera registrieren können, ob ein vorausfahrendes Fahrzeug langsamer fährt, anhält oder steht. Erkennt das System eine Kollisionsgefahr und reagiert der Fahrer trotz Warnung nicht hierauf, wird automatisch eine autonome Bremsung eingeleitet. Visionen vom vollautomatisierten Auto, also autonomes Fahren, liest und hört man allerorts. Und dafür ist natürlich eine digitale Infrastruktur erforderlich, d.h. auch das Fahrzeug soll komplett digital vernetzt sein. Neben der allgemeinen Euphorie werden aber auch zunehmend Bedenken gegenüber dem vollautomatisierten Fahren laut und auch ich habe Bauchschmerzen bei der Frage, ob und wie das alles – vor allem fehlerfrei und ohne Ausfälle (!) – funktionieren soll. Allein jedes Jahr zu Sylvester um 24.00 Uhr versuchen – natürlich völlig unerwartet (!) – Millionen Menschen Nachrichten zu verschicken. Jeder kennt es – die Nachrichten gehen nicht durch, weil „das Netz“ überlastet ist. Und in manchen Regionen hat man bis heute so gut wie keinen Empfang... Dennoch will – ja wer eigentlich genau? – unbedingt autonome Fahrzeuge. Ist das überhaupt mit geltendem Recht vereinbar?

Die Wiener UN-Konventionen aus dem Jahre 1968 sahen bislang vor, dass jedes Fahrzeug, das sich in Bewegung befindet, einen (Fahrzeug -)Führer haben muss (Artikel 8 Absatz 1). Ausdruck dieses Grundsatzes ist die jederzeitige Beherrschbarkeit des Fahrzeugführers über sein Fahrzeug (Artikel 8 Absatz 5) sowie die Beherrschbarkeit des Fahrzeugführers mit einer an die Verkehrsverhältnisse angepassten Geschwindigkeit (Artikel 13 Absatz 1). Bereits in 2014 wurden hierzu Änderungen des Wiener Übereinkommens vorgeschlagen, die mangels Einwände der anderen (damals noch 73) Vertragsstaaten am 23. März 2016 in Kraft getreten sind. Nach diesen Änderungen muss der Fahrer das Auto nicht mehr dauerhaft beherrschen und der Weg für neue Automatisierungsstufen von Fahrzeugen ist frei. Dies bedeutet nach Definition der deutschen Automobilindustrie, dass das Smart Car alle Situationen automatisch bewältigen kann.

Auch die Bundesregierung, allen voran Bundesverkehrsminister Dobrindt, will „ein Fahrzeugsystem, dass die vollständige Kontrolle über das Fahrzeug vom Losfahren bis zur Ankunft“ hat. Insoweit muss das Wiener Übereinkommen aber nochmals geändert werden, da dort bislang noch die Rede von einem „Fahrer“ ist. Ein Änderungsvorschlag liegt hierzu bereits vor. Dennoch mutet es irgendwie unheimlich an, wenn es im Strategiepapier von Dobrindt dazu heißt, dass die Begriffsbestimmung des „Fahrers“ so erweitert werden müsse, dass dem Menschen „künftig automatisierte Systeme mit voller Kontrolle über ein Fahrzeug gleichgestellt werden“. Hm – fehlte bei Orwell nicht auch schon jegliche Fernbedienung und der Knopf zum Abschalten?

Etwas fragwürdig erscheint dann auch der Sinn und Zweck der eingesetzten Ethik-Kommission, die klare Leitlinien für Algorithmen entwickeln soll, welche die Fahrzeugreaktionen in Risikosituationen bestimmen. Diese setzt sich vornehmlich zusammen aus Vertretern der Wissenschaft, Automobilindustrie und Digitalwirtschaft. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Vorgegeben sind aber bereits zwei Grundsätze: Sachschaden geht immer vor Personenschaden und es darf keine Klassifizierung von Personen geben, etwa nach Größe oder Alter. Wofür brauche ich dann aber noch eine Ethik-Kommission? Die Umsetzung der Algorithmen, eine Art Wenn-dann-Entscheidung, dürfte reine Programmierung sein nach der Maßgabe, Unfälle möglichst zu vermeiden und gefährliche Situationen früh zu erkennen.

Fazit:

Unabhängig von der Frage, ob wir Menschen tatsächlich jegliche Souveränität abgeben wollen, sind nicht nur zahlreiche technische Voraussetzungen erforderlich, sondern vor Allem die Juristischen, die wegen ihrer Komplexität, nicht nur Deutschland betreffen. Die Art der Kommunikation und vor Allem der Art und Weise, wer darüber wacht, werden entscheiden, ob Industrie 4.0 Segen oder Fluch bedeutet. Ein stets kritisches Hinterfragen sollte sich daher Jeder zu Eigen machen.