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22.03.2021

Steuerersparnis kurios

Nachträgliche Optimierung der Erbschaftssteuerbelastung beim Berliner Testament - Pflichtteilsanspruch gegen sich selbst geltend machen!

Das Berliner Testament

Die weiterhin bedeutendste und beliebteste Testamentsform für Ehegatten ist das sog. Berliner Testament (§ 2269 BGB). Hierbei handelt es sich um ein gemeinschaftliches Testament der Ehegatten, mit welchem sich diese gegenseitig zu ihren Alleinerben einsetzen. Zugleich bestimmen die Ehegatten, wer die sog. Schlusserben des Letztversterbenden werden sollen. Bei dem oder den Schlusserben handelt es sich regelmäßig um die (gemeinsamen) Kinder der Ehegatten.

Die Kinder werden somit nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten enterbt. Diese Enterbung erspart dem länger lebenden Ehegatten eine Erbauseinandersetzung mit den Kindern. Er kann das gemeinsam mit dem vorverstorbenen Ehegatten aufgebaute Vermögen unverändert nutzen. Die Verwertung von (existentiellen) Nachlassgegenständen im Fall eines weitgehend illiquiden Nachlasses, etwa durch die Veräußerung einer selbstgenutzten Immobilie, kann dem länger lebenden Ehegatten auf diese Weise erspart werden.

Diese Enterbung der Kinder wird dadurch kompensiert, dass sie nach dem Tode des länger lebenden Ehegatten erbberechtigt sind. Wenn die Kinder in gleicher Weise gegenüber den Ehegatten verwandt sind (keine Patchwork-Konstellation), erfahren sie somit durch die Wahl des Berliner Testaments grundsätzlich keinen wirtschaftlichen Nachteil. Sie erhalten ihren Erbteil am elterlichen Vermögen lediglich mit Verzögerung – nämlich nach dem Tod des länger lebenden Ehegatten. Sie tragen allerdings das Risiko, dass der länger lebende Ehegatte das geerbte Vermögen nach dem ersten Erbfall übermäßig verbraucht.

Der Nachteil des Berliner Testaments

Dieser „Deal“ des Berliner Testaments ist für viele testierende Ehegatten charmant und wird von ihren Kindern meist mit Verständnis akzeptiert. Er hat jedoch einen erbschaftssteuerlichen Nachteil. Denn die am Nachlass des erstversterbenden Ehegatten nicht beteiligten Kinder können den in diesem Verhältnis bestehenden steuerlichen Freibetrag nicht nutzen. Das gesamte Vermögen der beiden Ehegatten sammelt sich bei dem Letztversterbenden, so dass das Erbe der Kinder als Schlusserben umso höher ausfällt. Gerade bei großen Nachlässen reicht der Freibetrag der Kinder i. H. v. je € 400.000,- dann nicht mehr aus, um den Wert des Erbteils ganz oder zumindest überwiegend abzudecken. Die Folge ist eine Erbschaftssteuerverpflichtung, die sich bei gestaffelter Vermögensübergabe, d.h. durch eine Erbeinsetzung der Kinder auf den ersten und den zweiten Todesfall der Ehegatten und eine damit doppelte Nutzung der Freibeträge, hätte vermeiden lassen.

Das Berliner Testament läuft damit insbesondere bei großen Nachlässen einer steueroptimierten Nachfolgegestaltung entgegen. Einen guten Ausweg aus dieser „Steuerfalle“ gibt es beim Berliner Testament grundsätzlich nicht. Insbesondere ist es nicht möglich, dass der erstversterbende Ehegatte ein zusätzliches Barvermächtnis in Höhe des Freibetrages zugunsten der Schlusserben anordnet, welches aber erst auf den Tod des länger lebenden Ehegatten fällig wird (*). Denn ein solches Barvermächtnis würde steuerlich so behandelt, als stamme es nicht vom erstversterbenden, sondern vom länger lebenden Ehegatten (§ 6 Abs. 4 ErbStG).

Fallbeispiel

Steuerersparnis kurios – BFH, Urteil vom 05.02.2020 - II R 1/16,

In dieser für die Schlusserben steuerlich reichlich unbefriedigenden Situation springt ihnen nun ausgerechnet der Bundesfinanzhof (BFH) zur Seite und bietet in den Fällen, in denen die Ehegatten in einem Abstand von höchstens 4 Jahren nacheinander versterben (Verjährung), Schützenhilfe über das Pflichtteilsrecht:

Die zwangsläufige Enterbung der Kinder beim Berliner Testament (s.o.) im ersten Erbfall begründet einen Pflichtteilsanspruch. Um deren Geltendmachung zu verhindern, werden vielfach sog. Pflichtteilssanktionsklauseln (ggf. verschärft als „Jastrowsche Klausel“) verwendet. Gerade dieser Pflichtteilsanspruch lässt sich jedoch nutzbar machen!

Hierzu folgendes Beispiel:

Vater V verstirbt 2018. Mutter M ist Alleinerbin gem. Berliner Testament und verstirbt 2021. Schlusserbe wird Einzelkind K. Wert der Schlusserbschaft € 800.000,- .

K ist nach dem Tod von V enterbt und hat einen Pflichtteilsanspruch, den er aber vorerst nicht geltend macht. K wird in 2021 Schlusserbe nach M und muss einen Erwerb von Todes wegen von € 800.000,- versteuern, was zu einer Erbschaftssteuer von € 60.000,- führt.

K kann aber – trotz Vorversterben seiner beiden Eltern – noch bis Ende 2021 den nicht verjährten Pflichtteilsanspruch nach seinem Vater V in Höhe von € 200.000,-. geltend machen - so der BFH in seinem Urteil vom 05.02.2020. Der Pflichtteilsanspruch mindert dann den Nachlass von M.

Obwohl K weiterhin Alleinerbe des Nachlasses von M ist, mindert sich dieser in steuerlicher Hinsicht auf nur mehr € 600.000,-. Hierdurch sinkt die Erbschaftssteuerbelastung auf € 22.000,-. Die Erbschaftssteuer reduziert sich in diesem Beispielsfall mühelos um rund 2/3!

Kurioserweise muss K seinen Pflichtteil dabei gegenüber sich selbst geltend machen. Denn nach dem Tod von M, die die eigentliche Adressatin des Pflichtteilsanspruches wäre, ist K als Alleinerbe in alle Rechtsposition der M eingetreten (Universalsukzession). Obwohl er damit in Bezug auf den Pflichtteilsanspruch letztlich auch Schuldner und Gläubiger in einer Person ist, hat die (wirtschaftlich betrachtet folgenlose) Geltendmachung des Pflichtteils eine steuerliche Wirkung (§ 10 Abs. 3 ErbStG).

SKW Steuer-Tipp:

Machen Sie als Schlusserbe im Fall des zeitnahen Versterbens beider Elternteile Ihren Pflichtteil nach dem erst verstorbenen Elternteil geltend. Mindern Sie hierdurch den Ihnen zufließenden Nachlasswert in Höhe des Pflichtteils und damit Ihre Erbschaftssteuerbelastung!

Ausreichend ist hierzu ein an Sie selbst gerichtetes Schreiben, mit welchem Sie den Pflichtteil geltend machen. Wir empfehlen die notarielle Unterschriftsbeglaubigung dieses Schreibens (Notargebühren max. € 70,-).

Achtung:

Der Pflichtteilsanspruch darf zum Zeitpunkt der Geltendmachung noch nicht verjährt sein. Dies ist dann der Fall, wenn der erste Erbfall länger als drei Jahre bezogen auf den Beginn des Jahres, in welchem die Geltendmachung erfolgt, zurückliegt.

Die hier dargestellte Steuergestaltung darf außerdem dann nicht gewählt werden, wenn der Schlusserbe aufgrund einer Pflichtteilssanktionsklausel seine Schlusserbenstellung ganz oder teilweise verlieren würde. Ob dies der Fall ist, sollte zuvor stets von einem spezialisierten Rechtsanwalt geprüft werden.

Hierzu stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung! Auch beraten wir gerne dazu, wie Sie Ihr (Berliner) Testament ausgestalten können, damit Sie einerseits den länger lebenden Ehegatten durch eine Pflichtteilssanktionsklausel schützen und dem Schlusserben andererseits die hier dargestellte Steueroptimierung ermöglichen.

(*) Ausnahme: „Das Supervermächtnis“ – hierzu mehr im kommenden SKW Newsletter

Autor/innen

Jens-Hendrik Kern

Dr. Jens-Hendrik Kern

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