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06.07.2016

Scheinselbständigkeit

Für den sozialversicherungsrechtlichen Status des Auftragnehmers kommt es bei Vorliegen eines Rahmenvertrages auf den jeweiligen Einzelauftrag an.

Bundessozialgericht, Urteil v. 18.11.2015, Az. B 12 KR 16/13 R (LSG Hessen) Das Bundessozialgericht hatte über die Frage zu entscheiden, ob ein Mitarbeiter einer GmbH als selbständiger freier Mitarbeiter zu werten sei oder als abhängig Beschäftigter. Der Mitarbeiter hatte mit der GmbH eine Rahmenvereinbarung geschlossen, nach welcher er in den Geschäftsräumen von Kunden der GmbH mit der Präsentation der Produkte der GmbH und ihrer Vertragspartner, Sortimentüberwachung, Warendisposition, Warenplatzierung, Preisauszeichnung, Regalservice etc. beauftragt wurde. Er hatte die Aufträge in eigener Verantwortung auszuführen und er unterlag keinem Weisungs- und Direktionsrecht, war nicht zur persönlichen Auftragserfüllung verpflichtet, sondern ihm war durch Vertrag die Möglichkeit eingeräumt, Vertragspflichten auch durch Erfüllungsgehilfen ausführen zu lassen. Der von ihm abgeschlossene Vertrag bestand in einer Rahmenvereinbarung aufgrund derer ihm einzelne Aufträge erteilt werden sollten, die er jederzeit ohne Begründung ablehnen konnte. Von der zuständigen Sozialversicherungsbehörde wurde ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis festgestellt. Die GmbH legte hiergegen Widerspruch ein, der von der Behörde zurückgewiesen wurde.

Das Sozialgericht Frankfurt hob auf Klage der GmbH den angefochtenen Bescheid auf und stellte fest, dass kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hat. Die Berufung der Behörde wurde seitens des LSG Hessen zurückgewiesen, die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Das Bundessozialgericht folgte dem LSG nicht und legte in seiner Entscheidung wesentliche Grundzüge künftiger Beurteilungen dar, die bei der Abgrenzung von Selbständigen und Arbeitnehmern künftig Berücksichtigung finden müssen.

Das BSG führt in seiner Entscheidung aus, dass allein die Tatsache, dass eine Person innerhalb eines Rahmenvertrages Einzelaufträge erhält, die er oder sie auch ablehnen kann, nicht für eine selbständige Tätigkeit spricht. Nach Auffassung des BSG muss für die Beurteilung, ob eine selbständige oder abhängige Beschäftigung vorliegt, jeder Einzelauftrag nach Durchführung und Umständen gesondert überprüft werden. Zwischen den Einzelaufträgen läge keine entgeltliche Beschäftigung vor, so dass der Rahmenvertrag nur als ergänzendes Indiz, nicht aber für die Grundlage der Beurteilung eine Rolle spielen kann. Die darin enthaltene Dispositionsfreiheit sieht das BSG nicht als tragend für die Beurteilung einer selbständigen oder abhängigen Beschäftigung an, zumal auch im Bereich der abhängigen Beschäftigung vielfältige Möglichkeiten der Disposition bestünden. Unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung weist das BSG auch noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass die vertragliche Grundlage zwar den ersten Ansatz für die Beurteilung bildet, tatsächlich aber die Durchführung des Vertrages, insbesondere im Hinblick auf mündliche oder konkludente Abweichungen, maßgeblich ist. Pflichten dergestalt, dass ein Betreffender sich verpflichtet, auch während einer Urlaubs- oder Krankheitszeit die Durchführung eines bestimmten Vertrages sicherzustellen, haben nach dem BSG nur dann Auswirkungen, wenn daran auch eine negative Konsequenz für den Betreffenden hängt. Im vorliegenden Fall führten Urlaubs- oder Krankheitszeiträume dazu, dass der Auftraggeber, ein Supermarkt, dann die Arbeiten selbst erledigen musste. Damit ist dieses Merkmal nicht signifikant für die Abgrenzung. Gleiches gilt für eine angebliche Zeithoheit, wenn durch Überwachung und zeitliche Vorgaben im Rahmen von Einzelaufträgen eine nahezu durchgehende Beschäftigung sichergestellt werden soll, so dass dem betreffenden Selbständigen eine eigentliche zeitliche Dispositionsmöglichkeit überhaupt nicht mehr bleibt. Weiterhin ist die Gestellung wichtiger Betriebsmittel durch den Auftraggeber ebenfalls ein deutliches Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Klauseln, die einen Ausschluss der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle oder Urlaub oder Verpflichtungen, Einnahmen selbst zu versteuern oder für eine eigene Sozial- oder Krankenversicherung zu sorgen, sind nur insoweit zu berücksichtigen, als sie den Willen der Vertragsparteien zum Ausdruck bringen, dass keine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegen soll. Für die Beurteilung des Status haben sie ansonsten keine weitere Auswirkung. Die Möglichkeit sich für die Durchführung des Auftrages Erfüllungsgehilfen, bspw. eigener Arbeitnehmer zu bedienen, spricht zwar für eine Selbständigkeit; es ist aber im Rahmen der Gesamtbeurteilung zu überprüfen, ob dies tatsächlich möglich war und ob von dieser Möglichkeit auch tatsächlich in nennenswertem Umfange Gebrauch gemacht worden ist oder vielmehr das Ganze nur auf dem Papier stand. Da wesentliche Sachverhaltsbestandteile bislang nicht seitens des LSG festgestellt worden waren, wurde das Verfahren an die 2. Instanz zurückverwiesen.

Folgen für die Praxis:

Die Entscheidung zeigt, dass bei der Frage der Abgrenzung von Angestellten und Selbständigen nach wie vor keinerlei Entwarnung gegeben werden kann. Nachdem der erste Referentenentwurf aus dem Hause des Bundesarbeitsministeriums nicht nur für seine das AÜG betreffenden Bestandteile stark kritisiert worden ist, sondern auch für die vorgesehene Abgrenzung zwischen Selbständigen und Angestellten, war dieser Entwurf im Rahmen der Verständigung der großen Koalition auf eine Neuregelung entschärft worden. Die Rechtsprechung des BSG, wie der vorliegende Fall exemplarisch zeigt, wendet aber die Kriterien, die in dem seinerzeitigen Gesetzesentwurf enthalten waren, bereits im breiten Umfange an. Bleibt es bei der Entscheidung des BSG im vorliegenden Fall, spielt die Frage eines Rahmenvertrages mit Einzelaufträgen für die Abgrenzung keine Rolle mehr. Bei der praktischen Durchführbarkeitsüberprüfung bleibt allerdings noch Einiges an Rätseln. Wenn jeder Einzelauftrag gesondert überprüft werden soll, besteht die große Gefahr eines permanenten Wechsels zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung. Für beide Seiten wirkt dies eher kontraproduktiv, so dass Rahmenverträgen, die bisher in gewissem Umfange üblich waren, künftig entweder aufgegeben oder aber einer genauen Überprüfung und sorgfältigen Abfassung unterzogen werden sollten. Dabei ist insbesondere auch darauf zu achten, dass Einzelaufträge auch tatsächlich erteilt werden, weil ansonsten die Gefahr einer Scheinselbständigkeit erheblich ansteigt. Die weiteren Hinweise des Gerichts deuten darauf hin, dass man künftig bei der tatsächlichen Durchführung die Frage der Selbstbestimmung von Zeit, Ort und Art und Weise der Arbeit einer wesentlich genaueren Überprüfung unterziehen wird, als dies in der Vergangenheit vielleicht der Fall war. Insbesondere die IT- und die Werbebranche, bei der es immer noch in weiten Bereichen üblich ist, (feste) freie Mitarbeiter in eigenen Betriebsräumlichkeiten an Betriebsmitteln des Auftragsgebers einzusetzen, die sich den Zeitvorgaben des Auftraggebers anpassen, dürften in weiten Fällen äußerst kritisch zu werten sein.

Autor/innen

Michael Wahl

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