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15.02.2019

Schadensrecht: Abschied von der fiktiven Schadensberechnung bei Baumängeln – Rechtsprechungsänderung des BGH (Urteil v. 22.02.2018 – VII ZR 46/17)

Der 7. Senat des BGH hat mit seinem Urteil vom 22.02.2018 – VII ZR 46/17 eine Entscheidung von erheblicher Tragweite für das allgemeine Schadensrecht getroffen, mit der die jahrzehntelange höchstrichterliche Rechtsprechung zur fiktiven Schadensbemessung in baurechtlichen Auseinandersetzungen – insbesondere Gewährleistungsprozessen – aufgegeben wurde. Die Gewährung von Schadenersatz wird nunmehr deutlich restriktiver gehandhabt.

Bislang war es zulässig und geradezu üblich, die Schadensberechnung im Rahmen der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen wegen Mängeln „fiktiv“, das heißt z.B. auf der Grundlage eines Gutachtens zur Höhe der erforderlichen Mangelbeseitigungskosten vorzunehmen. Auf die Frage, ob tatsächlich Kosten für eine Mangelbeseitigung aufgewendet worden sind bzw., ob dies vom Besteller noch beabsichtigt ist, kam es – abgesehen von ersetzt verlangter Umsatzsteuer – nicht an. Im Grundsatz galt jedoch stets: Der Schaden aufgrund eines Mangels besteht in Höhe der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen (Netto-)Kosten.

Dieser Grundsatz ist auch in anderen Zusammenhängen, etwa bei der Regulierung von Schäden an einem KFZ bekannt und gilt dort nach wie vor. Bei der Bewertung von Baumängeln geht die Rechtsprechung nun jedoch weitaus differenzierter vor.

Der BGH hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem es um Schadenersatzansprüche ggü. dem bauausführenden Unternehmer und den mit der Planung und Überwachung des Bauvorhabens beauftragten Architekten ging. Konkret stritten die Parteien über Mängel an Natursteinplatten im Außenbereich eines Einfamilienhauses. In der Grundsatzentscheidung des BGH heißt es:

„Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen.“

Die bislang nebensächliche Frage nach der tatsächlich erfolgten bzw. beabsichtigten Mangelbeseitigung wird damit entscheidend für die Schadensbemessung. Diese kann nach der Entscheidung des BGH anhand verschiedener Kriterien vorgenommen werden:

In den Fällen, in denen eine Mangelbeseitigung nicht erfolgt ist bzw. erfolgen soll – etwa weil das Werk bereits weiterveräußert worden ist oder sonstige praktische Gründe entgegenstehen – kommt zum einen die Aufstellung einer Vermögensbilanz in Betracht. Hier wird der hypothetische Wert des (Bau‑)Werks ohne Mangel dem tatsächlichen Wert mit Mangel gegenüber gestellt. Der Schaden besteht dann in Höhe der ermittelten Differenz. Im Falle einer Veräußerung ist der Schaden mit dem nachweisbaren konkreten Mindererlös gleichzusetzen. Hier stellt sich jedoch nicht selten das Problem, dass ein Mangel, d.h. eine negative Abweichung der Ist-Beschaffenheit des Werkes von der vereinbarten bzw. zu erwartenden Soll-Beschaffenheit zwar objektiv feststellbar ist, dieser jedoch keine signifikante Auswirkung auf den Gesamtwert des Werkes hat (z.B. weiße statt graue Fenster). Ein Minderwert ist mitunter gar nicht oder nur sehr schwierig zu ermitteln bzw. bleibt wirtschaftlich weit hinter den erforderlichen Kosten einer Mangelbeseitigung zurück. Für Auftraggeber bedeutet dies im Vergleich zur früheren Rechtsprechung eine erhebliche wirtschaftliche Schlechterstellung. Auftragnehmer hingegen profitieren.

Zum anderen kann der Schaden auf der Grundlage der für die Herstellung des Werks vereinbarten Vergütung bemessen werden. Dieses Vorgehen liefe praktisch auf eine Minderung der Vergütung hinaus. Hier stellen sich jedoch ähnliche Schwierigkeiten wie bei der zuvor beschriebenen Methode der Aufstellung einer Vermögensbilanz.

In den Fällen hingegen, in denen eine Mangelbeseitigung durch den Besteller vorgenommen worden bzw. beabsichtigt ist, kann dieser nach wie vor die Mangelbeseitigungskosten als Schaden ersetzt verlangen. Es genügt insoweit aber eben nicht mehr eine theoretische gutachterliche Einschätzung zu den erforderlichen Kosten (fiktiver Schaden), sondern es muss der Nachweis geführt werden, welche Kosten zur Mangelbeseitigung konkret aufgewendet worden sind. Vor Durchführung der Mangelbeseitigung kann der Besteller vom Unternehmer einen entsprechenden Vorschuss verlangen, über den allerdings nach Durchführung der Mangelbeseitigung abzurechnen ist. Eine Überzahlung wäre sodann zurückzuerstatten.

Die beschriebenen Kriterien gelten sowohl im Verhältnis des Auftraggebers zum Bauunternehmer als auch ggü. einem planenden bzw. bauüberwachenden Architekten.

Der BGH verfolgt mit seiner Entscheidung von der fiktiven Schadensberechnung eine Strategie zur Verhinderung von Überkompensationen, die in der Vergangenheit in Schadenersatzprozessen wegen Baumängeln nicht selten aufgetreten sind. Ersetzt werden soll allein der Schaden, der tatsächlich und auch wirtschaftlich beim Besteller eingetreten ist. Besteller sollen aber von einer mangelhaften Ausführung nicht noch profitieren bzw. sich auf Kosten des Unternehmers bereichern können.

Fazit und Ausblick:

Die Entscheidung stellt eine Abkehr von der jahrzehntelangen bauherrenfreundlichen Rechtsprechung dar. Die neue Linie des BGH führt zu einer Besserstellung mangelhaft leistender Auftragnehmer – sowohl gegenüber Bestellern als auch im Wettbewerb mit fachgerecht arbeitenden Unternehmern.

Bei dem Urteil handelt sich zwar um eine Entscheidung, die in einem werk- bzw. baurechtlichen Fall getroffen worden ist. Die wesentlichen der Entscheidung zugrunde liegenden Argumente und Erwägungen sind jedoch nicht speziell werk- oder baurechtlicher Natur, sondern ergeben sich aus dem allgemeinen Schadenersatzrecht. Dementsprechend ist die Entscheidung durchaus auch auf andere Rechtsgebiete übertragbar und daher umso beachtenswerter.

Inzwischen hat der BGH seine neue Rechtsprechung bereits ausdrücklich bestätigt (BGH Urteil v. 21.06.2018 – VII ZR 173/16) und erste Instanzgerichte beginnen die neue strenge Linie auch außerhalb des Werkvertragsrechts anzuwenden (so z.B. das LG Darmstadt für Schäden aus einem Verkehrsunfall, AZ. Urteil v. 24.10.2018, AZ. 23 O 356/17 und Urteil v. 5.9.2018, AZ. 23 O 386/17; beide (noch) nicht rechtskräftig). Erste Ausstrahlungswirkungen der Entscheidung des 7. Senats sind damit bereits feststellbar.

Es bleibt weiter zu verfolgen, ob sich die Abkehr von der fiktiven Schadensberechnung allgemein im Schadensrecht durchsetzen wird und wie die unvermeidlichen Widersprüche zur höchstrichterlichen Rechtsprechung in anderen Rechtsgebieten (etwa Mietrecht, Kaufrecht etc.) aufgelöst werden.