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03.08.2016

Neuerungen für börsennotierte Unternehmen; welche Kopfzahl gilt für welche Verpflichtungen, z.B. bei der fixen Frauenquote?

Börsennotierte Unternehmen müssen sich mit immer neuen, kapitalmarktrechtlichen Verpflichtungen auseinandersetzen. Der Umfang dieser Verpflichtungen ist häufig davon abhängig, wie viele Mitarbeiter diese Unternehmen im Konzern beschäftigen und wie diese Mitarbeiterzahl konkret zu ermitteln ist. Dabei sorgt bei den Emittenten aktuell eine Online-Veröffentlichung der Bundesministerien für Familie, Senioren, Frauen und Jugend („BMFSFJ“) sowie für Justiz und Verbraucherschutz („BMJ“) für erhebliche Verwirrung in Bezug auf die Frage zur in 2015 eingeführten „Frauenquote“ im Aufsichtsrat, insbesondere auch hinsichtlich des Stils, mit dem man seitens der Ministerien gegenüber den Emittenten vorgeht. 1. Im März 2016 hat das BMJ in dem von ihm vorgelegten Referentenentwurf zur Corporate Social Responsibility (CSR) - Richtlinie, die für börsennotierte Unternehmen neue und umfangreiche sog. „nichtfinanzielle Berichtspflichten“ einführen wird, diese Verpflichtungen daran geknüpft, dass das Unternehmen im Jahresdurchschnitt konsolidiert, also auch unter Berücksichtigung der Mitarbeiterzahlen in konsolidierten ausländischen Tochtergesellschaften, mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt. Diese Zahl wiederum findet sich im Geschäftsbericht eines Unternehmens im jeweiligen Lagebericht (http://www.skwschwarz.de/de/Aktuelles/Article-Detail/++/art_id/283/). Dieser Referentenentwurf wird auf Basis der EU-Vorgaben gesetzliche Regelungen schaffen, es steht dem BMJ damit frei, diese Kriterien auch neu zu definieren und die Mitarbeiter des Konzerns in ausländischen Tochtergesellschaften mit zu berücksichtigen.

2. Nach dem im Jahr 2015 eingeführten Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen gilt seit dem 01. Januar 2016 für neu zu besetzende Aufsichtsratsposten in börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen eine feste Geschlechterquote von 30 Prozent. Die beiden Kriterien, die ein Unternehmen gleichzeitig zu erfüllen hat, damit in ihm diese sog. „fixe Frauenquote“ anzuwenden ist, sind also eigentlich klar: das Unternehmen muss sowohl börsennotiert als auch mitbestimmt im Sinne des deutschen Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) sein. Dies definiert man von Seiten des Ministeriums nun aber offenbar sehr flexibel.

2.1. In der Anfang Juli 2016 freigeschalteten Online-Veröffentlichung des BMFSFJ (http://www.bmfsfj.de/quote/daten.html) findet sich eine Namensliste von börsennotierten Unternehmen mit der aktuellen Zahl ihrer Aufsichtsratssitze und der weiblichen Mitglieder im Aufsichtsrat. Das BMFSFJ stellt die Liste dabei als Liste derjenigen börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen dar, in deren Aufsichtsräten seit Jahresbeginn 2016 die feste Quote von 30 Prozent für alle Neubesetzungen im Aufsichtsrat gelte, um zu dokumentieren,

(i) welche Unternehmen seit Jahresbeginn 2016 von der sog. „fixe Frauenquote“ betroffen seien und

(ii) wie sie diese Anforderung bis jetzt umgesetzt hätten.

2.2. Für viele der dort genannten Emittenten, insbesondere für kleine börsennotierte Unternehmen, wird ihre Nennung überraschend sein, denn schon an der in der Liste genannten Zahl der Aufsichtsratssitze kann man sofort erkennen, dass sich zumindest nicht alle in dieser Liste genannten Aufsichtsräte derzeit nach den Vorgaben des MitbestG zusammensetzen. Nach dem MitbestG hat ein voll mitbestimmter Aufsichtsrat nämlich mindestens 12 Mitglieder.

2.3. Warum diese nicht voll mitbestimmten Unternehmen gleichwohl genannt werden, ist ebenfalls leicht erkennbar: man verwendet in dieser Liste genau dieselben (für die „fixe Frauenquote“ aber unzutreffenden) Kriterien wie im Referentenentwurf zur CSR-Richtlinie und erhöht damit im Vergleich zum Gesetzgebungsverfahren, bei dem man noch von 100 Unternehmen ausging, die Zahl der hiervon betroffenen Unternehmen auf 151. Damit übt man öffentlich politischen Druck auf die nun neu genannten Unternehmen aus, sich mit diesem Thema zu befassen und ggf. freiwillig und unabhängig von der Gesetzeslage die 30%-Geschlechterquote einzuführen.

2.4. Dabei ist den Ministerialbeamten, die diese Liste erstellt haben, offenbar auch noch deutlich bewusst, dass man hier zumindest zweifelhaft vorgeht, denn die Online-Veröffentlichung behauptet zwar zunächst „Die interaktive Grafik zeigt den Anteil der Frauen und Männer in den Aufsichtsräten der börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen, für die aktuell die feste Quote von 30 Prozent für alle Neubesetzungen im Aufsichtsrat gilt.“,

spricht die in der Liste genannten Emittenten gleich danach aber ausdrücklich wie folgt an:

„Die aktuelle Übersicht basiert auf den vorliegenden Daten aus den Lageberichten. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass auch Unternehmen erfasst wurden, die nicht paritätisch mitbestimmt oder nicht mehr börsennotiert sind. Unternehmen, die nach ihrer Auffassung aktuell nicht der Börsennotierung oder der paritätischen Mitbestimmung unterfallen, können dies an PG-FuePo@bmfsfj.bund.de melden.“

2.5. Dass die im jeweiligen Lagebericht der Unternehmen genannte Mitarbeiterzahl nicht nur die Mitarbeiterzahl in Deutschland, sondern die Summe der Mitarbeiter in Deutschland und in den konsolidierten ausländischen Tochtergesellschaften des Unternehmens wiedergibt, ist auch auf Ministeriumsseite bekannt. Man hat für die Liste offenbar ausschließlich die Lageberichte der Unternehmen recherchiert, dann die Listennennung nach dem Kriterium zusammengestellt, ob das jeweilige Unternehmen nach seinem Lagebericht mehr als 2.000 Mitarbeiter hat – egal wo –, und dies damit begründet, es gebe in der Rechtsprechung aktuell Tendenzen, für die nach dem MitbestG relevante Mitarbeiterzahl im Konzern nicht mehr zwischen in- und ausländischen Konzerngesellschaften zu unterscheiden, so dass die nach dem MitbestG notwendigen 2.000 Arbeitnehmer sich auch in ausländischen Tochtergesellschaften finden könnten.

2.6. Diese damit gemeinten Entscheidungen des LG Frankfurt im Statusverfahren gegen die Deutsche Börse (3-16 O 1/14) und des Berliner Kammergerichts im Statusverfahren gegen die TUI (14 W 89/15) sind bisher weder rechtskräftig noch nachvollziehbar.

Sowohl das LG nebst OLG Frankfurt (21 W 91/15) im Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung des LG Frankfurt als auch das Kammergericht schließen zwar nicht aus, dass auf der Grundlage einer angeblich Europarechtskonformen Auslegung Arbeitnehmer ausländischer Konzernunternehmen für die Anwendung des MitbestG mitzuzählen seien und die Notwendigkeit paritätischer Mitbestimmung deshalb nicht mehr davon abhängig sei, dass ein deutsches Unternehmen, ggf. unter Zurechnung von Mitarbeitern inländischer, d.h. deutscher Konzernunternehmen, mehr als 2.000 Mitarbeiter beschäftige. Der nun zur Entscheidung aufgerufene EuGH hat hierzu allerdings noch nicht entschieden und wird jedenfalls auch die Frage abzuwägen haben, ob diese angeblich Europarechtskonforme Auslegung auch für Mitarbeiter von Konzernunternehmen außerhalb der Europäischen Union gelten kann. Nach bisher allgemeiner Auffassung, die auch der Einführung der Kriterien „Börsennotierung“ und „paritätische Mitbestimmung“ beim Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen zugrunde lag und liegt, ist das MitbestG nur anwendbar auf ein deutsches Unternehmen, das, ggf. unter Zurechnung von Mitarbeitern deutscher Konzernunternehmen, mehr als 2.000 Mitarbeiter beschäftigt. Damit geht die Liste in ihren Kriterien (wie man aus der Frage an die Emittenten entnehmen kann, bewusst) bei vielen Unternehmen an diesen gesetzlichen Vorgaben vorbei.

3. Gleichwohl werden Unternehmen, die sich hier unberechtigt gelistet sehen und aktuell nicht paritätisch mitbestimmt sind – also alle genannten Unternehmen mit weniger als 12 Aufsichtsratssitzen –, zumindest dann, wenn sie die 30%-Geschlechterquote nicht einhalten (die sie dann ja auch nicht einhalten müssen), gehalten sein, sich mit der Liste und ihren Auswirkungen zu befassen. Ihre unberechtigte Nennung kann zum einen auf Arbeitnehmerseite Forderungen auslösen, die bisher unzweifelhaft nicht bestehende paritätische Mitbestimmung im Wege eines Statusverfahrens einzuführen. Sie kann zum anderen bei internationalen Geschäftspartnern den Eindruck erwecken, man erfülle nicht alle Compliance-Kriterien, die in Deutschland an ein börsennotiertes Unternehmen gestellt werden. Also gilt es, die Darstellung schnell und aktiv zu korrigieren.

Besonders irritierend ist dabei die Art und Weise, mit der das Ministerium den Emittenten gegenüber auftritt:

Es heißt ja immer spöttisch, Lesen bildet.

Die Ministerialbeamten haben hier vor allem viele Lageberichte gelesen. Jetzt wird dort offenbar erwartet, dass nun der Emittent diese Liste liest. Er hat nun selbst aufzupassen, wo und nach welchen Kriterien er richtig oder auch fälschlicherweise erfasst wird.

Der Emittent sagt DANKE zu dieser zusätzlichen und durch die Hintertür eingeführten, weiteren Kapitalmarktverpflichtung.

Autor/innen

Tatjana Schroeder

Dr. Tatjana Schroeder

Partnerin (Of Counsel)

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