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10.04.2019

Marktwaffe Schriftform bei gewerblichen Miet- bzw. Pachtverträgen

Sind Sie langjähriger Mieter/Pächter oder Vermieter/Verpächter von Gewerbeimmobilien? Dann schenken Sie uns bitte kurz Ihre Aufmerksamkeit zum wichtigsten Thema in diesem Zusammenhang: Die Einhaltung der Schriftform! Uns ist bekannt, dass diese Schlagworte bei den meisten Adressaten nicht gerade eine Spannungskurve aufbauen. Wir wissen jedoch aus langjähriger Erfahrung auch, dass unter „Nichtexperten“ oftmals weder die Bedeutung des Schriftformerfordernisses richtig verstanden wird noch die enormen wirtschaftlichen Folgen bekannt sind. Meist ist das Kind zum Zeitpunkt der Erkenntnis bereits tief in den Brunnen gefallen. Geben Sie uns die Möglichkeit, Ihnen hierüber einen kurzen Überblick zu verschaffen.

Ob im Rahmen der Ver- oder Anmietung bzw. -pachtung von Büro-, Einzelhandels- oder Logistikflächen, ganzer Hotels oder von Grundstücken zum Betrieb von Solar- und Windkraftanlagen (Aufzählung nicht abschließend), werden die gewerblichen Miet- bzw. Pachtverträge mit einer längeren Laufzeit als einem Jahr abgeschlossen, gilt § 550 Satz 1 BGB mit dem Wortlaut: „Wird der Mietvertrag für längere Zeit als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen, so gilt er für unbestimmte Zeit“.

Was bedeutet das?

„In schriftlicher Form“ bedeutet hierbei eben nicht nur, dass die Parteien einmal ihre jeweilige Unterschrift unter den Vertrag setzen und damit automatisch Vertragssicherheit generieren. Leider ein häufig verbreiteter Irrtum. „In schriftlicher Form“ bedeutet weitaus mehr: Der gewerbliche Miet- bzw. Pachtvertrag muss alle wesentlichen Regelungen, insbesondere zu Miet- bzw. Pachtobjekt, -parteien, -dauer und -zins enthalten. Jeder außenstehende Dritte sollte alles, was die Miet- bzw. Pachtvertragsparteien als für sie wesentlich vereinbart haben, aus der Miet- bzw. Pachtvertragsurkunde selbst erkennen oder zumindest aus ihr heraus klar bestimmen können. Es dürfen weder Widersprüche innerhalb des Vertragstextes noch zwischen Vertragstext und Anlagen bestehen.

Aber damit nicht genug: Liegt einmal ein schriftformkonformer Miet- bzw. Pachtvertrag vor, gilt es auch, die Schriftform zu erhalten. Sie wird oftmals durch Handlungen zerstört, die den Parteien als solche gar nicht bewusst sind. Typische Beispiele hierfür sind: Nachträgliche mündliche oder konkludente Vereinbarungen über Kleinigkeiten des Miet- bzw. Pachtvertrags, nachträgliche minimale handschriftliche Streichungen oder Änderungen in der Miet- bzw. Pachtvertragsurkunde ohne nochmalige mit Datum versehene Unterzeichnung durch beide Parteien, irgendwelche schriftlichen Vereinbarungen über Miet- bzw. Pachtvertragsinhalte, ohne einen die Schriftform wahrenden Nachtrag zu schließen, etc.; unser Appell lautet deswegen hier: Tun Sie in diesem Zusammenhang bitte nichts Unüberlegtes, schon gar nicht zwecks Zeit- und Kostenersparnis.

Wieso der ganze Aufwand, die Genauigkeit und, vor allem, die Achtsamkeit?

Die Antwort: Es kann Sie teuer zu stehen kommen. Grund: Bei Nichteinhaltung der Schriftform hält der letzte Halbsatz von § 550 Satz 1 BGB folgendes für Sie bereit: „[…] so gilt er (damit ist der Miet- bzw. Pachtvertrag gemeint) für unbestimmte Zeit.“ Dieser kleine Nebensatz hat zur Folge, dass der Miet- bzw. Pachtvertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt und jede Partei den Miet- bzw. Pachtvertrag nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (Mietvertrag: § 580a BGB; Pachtvertrag: § 584 BGB) ordentlich kündigen kann; dies, obwohl die Parteien eine feste Laufzeit vereinbart haben, diese hat schlicht keine Relevanz mehr. Damit kann z. B. ein Mietvertrag über Geschäftsräume spätestens am dritten Werktag eines Kalenderquartals zum Ende des nächsten Kalenderquartals, also im kürzesten Fall innerhalb von sechs Monaten, ordentlich gekündigt werden (§ 580 a Abs. 2 BGB). In diesem Fall war die langfristige wirtschaftliche Berechnung der vermeintlich unkündbaren Partei (Einnahmen/Umsatz für den Mieter/Pächter, Cash-Flow für den Vermieter/Verpächter) oftmals umsonst, denn der Vertrag endet bei Kündigung durch die jeweils andere Partei frühzeitig.

Diese betriebswirtschaftlich relevante Rechtsfolge wurde mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. September 2017 (Aktenzeichen XII ZR 114/16) nochmals verstärkt. Nach Ansicht des Gerichts sind alle Generalklauseln in gewerblichen Miet- bzw. Pachtverträgen, die die Parteien verpflichten, den Vertrag wegen Nichteinhaltung der Schriftform nicht zu kündigen und/oder zu heilen (sog. „Schriftformheilungsklausel“), unwirksam, sowohl in Gestalt von AGB als auch in Gestalt einer Individualvereinbarung.

Somit haben Sie ab dieser Entscheidung nur noch eine Möglichkeit, den Miet- bzw. Pachtvertrag in der richtigen schriftlichen Form rechtlich abzuschließen: Zu Beginn, z. B. in der Verhandlungs- und Entwurfsphase. Danach ist jede Partei vom guten Willen der anderen abhängig, um die Nichteinhaltung zu beheben. Der gute oder schlechte Wille bestimmt sich wiederum danach, ob Sie sich in einem Vermieter-/Verpächer- oder Mieter-/Pächtermarkt befinden. Und seien Sie sich der folgenden Tatsache bewusst: Die marktbeherrschende Partei kann bei bestehenden Eigeninteressen eine Verletzung der Schriftform jederzeit zu ihren Gunsten nutzen, indem sie ordentlich kündigt oder den marktunterlegenen Vertragspartner in Verhandlungen über den Miet- bzw. Pachtvertrag zu ihren Gunsten zwingt; dieses Verhalten verstößt grundsätzlich auch nicht gegen Treu und Glauben. Unserer Erfahrung nach ist es zudem nicht nur Theorie, sondern gelebte Praxis. Nicht umsonst bezeichnen Experten die Nichteinhaltung der Schriftform als Waffe.

Praxistipp:

Je nachdem, in welcher Position Sie sich befinden (Mieter/Pächter bzw. Vermieter/Verpächter), überlegen Sie sich stets, was es für Sie wirtschaftlich bedeuten würde, wenn der Fortbestand ihres langjährigen gewerblichen Miet- oder Pachtvertrages nicht mehr gesichert ist, insbesondere kurz nach Miet- bzw. Pachtbeginn. Umso leichter wird es Ihnen fallen, von Beginn an darauf zu achten, dass alles, was sie mit Ihrem Vertragspartner vereinbaren wollen, auch lückenlos aus dem Miet- oder Pachtvertrag selbst hervorgeht. Und, um ehrlich zu sein, versuchen Sie nicht, den Gesetzgeber oder den Bundesgerichtshof zu verstehen, sondern erfüllen Sie deren Anforderungen. Dies erspart Ihnen Zeit, Mühe und Nerven. Wir helfen Ihnen gern dabei.

Autor/innen

Petra Steinheber

Dr. Petra Steinheber

Counsel

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