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22.06.2020

Kein Wirtschaftsausschuss bei Gemeinschaftsbetrieb von Tendenzunternehmen und tendenzfreien Unternehmen

Im Zusammenspiel von grundrechtlich geschützten Freiheitsrechten, insbesondere denen aus Artikel 5 GG, und arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen hat § 118 BetrVG für Unternehmen, die die dort aufgeführten Ziele verfolgen (Tendenzunternehmen), explizit geregelt, welche betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen auf derartige Unternehmen keine Anwendung finden sollen. Solche Tendenzunternehmen sind neben anderen insbesondere Unternehmen, die künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung nachgehen oder karitativen Zwecken dienen. Für derartige Unternehmen regelt § 118 BetrVG, dass beispielsweise die Bestimmungen der §§ 106 ff. BetrVG über die Bildung eines Wirtschaftsausschusses keine Anwendung finden.

Im vorliegenden Fall stellte sich die Frage, was gilt, wenn zwei Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb bilden und ein Unternehmen dabei ein Tendenzunternehmen darstellt, das andere Unternehmen jedoch einen tendenzfreien Zweck verfolgt. Im konkreten Fall war ein Gemeinschaftsbetrieb gebildet aus einem Unternehmen A, das ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke verfolgte und damit ein Tendenzunternehmen im Sinne des § 118 BetrVG darstellte, während das zweite Unternehmen B tendenzfrei tätig war und eine ambulante Einrichtung der medizinischen Rehabilitation betrieb. Im ersten Unternehmen A waren 214 Arbeitnehmer tätig, im zweiten tendenzfreien Unternehmen B 20 Arbeitnehmer.

Das BAG bezog sich bei seiner Entscheidung zunächst auf die bekannte Rechtsprechung, wonach die Grenze für die Bildung eines Wirtschaftsausschusses von 100 Arbeitnehmern auch dann erreicht werden kann, wenn bei mehreren Unternehmen in einem Gemeinschaftsbetrieb zwar nicht jedes einzelne, aber alle Unternehmen insgesamt mehr als 100 Arbeitnehmer beschäftigen. Auch in diesem Falle ist ein Wirtschaftsausschuss zu bilden.

Im konkreten Fall allerdings war es so, dass das tendenzfreie Unternehmen B lediglich über 20 Arbeitnehmer verfügte, also nicht die Schwelle des § 106 BetrVG erreichte, während das tendenzgeschützte Unternehmen A deutlich mehr als 100 Arbeitnehmer beschäftigte. Der in diesem Gemeinschaftsbetrieb gebildete Betriebsrat vertrat die Auffassung, dass auch in diesem Falle die Mitarbeiterzahlen zusammenzurechnen wären, was das BAG ebenso wie die beiden vorherigen Instanzen jedoch mit deutlichen Worten zurückwies. Nach Auffassung des BAG ist in einem derartigen Gebilde kein Wirtschaftsausschuss in entsprechender Anwendung des § 106 BetrVG zu bilden, wenn in dem Gemeinschaftsbetrieb überwiegend tendenzgeschützte Zwecke verfolgt werden, was sich im vorliegenden Fall nach Auffassung des BAG eindeutig schon aus der deutlich höheren Arbeitnehmerzahl des Tendenzunternehmens ergäbe.

Dies bedeutet für alle tendenzgeschützten Unternehmen, die mit einem tendenzfreien Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb bilden, dass in diesem Gemeinschaftsbetrieb jedenfalls dann kein Wirtschaftsausschuss zu bilden ist, wenn das tendenzgeschützte Unternehmen in diesem Gemeinschaftsbetrieb insbesondere in quantitativer Hinsicht (Arbeitnehmerzahl) überwiegendes Gewicht hat.

Abschließend urteilte das BAG für diesen Fall darüber hinaus, dass in einem solchen Fall dann auch nicht der im Gemeinschaftsbetrieb gebildete Betriebsrat von den Arbeitgebern verlangen kann, seinerseits nach § 106 BetrVG unterrichtet zu werden, da Inhaber des entsprechenden Anspruchs aus § 106 BetrVG ausschließlich ein wirksam gebildeter Wirtschaftsausschuss ist.

Weitere Informationen:

   
BAG, Beschluss vom 19.11.2019 – 7 ABR 3/18

Autor/innen

Bernd Joch

Dr. Bernd Joch

Partner

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