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03.04.2017

Kein Beweisverwertungsverbot bei heimlicher Videoaufzeichnung

Eine heimliche Videoüberwachung setzt lediglich einen einfachen Verdacht einer Straftat oder schweren Pflichtverletzung voraus.

BAG, Urteil v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15 (LAG Köln, Urteil v. 08.05.2015 – 4 Sa 1198/14) (ArbG Bonn, Urteil v. 06.11.2014 – 3 Ca 1988/14) Streitgegenstand war die Wirksamkeit einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung. Im Betrieb der Beklagten, einem Kfz-Vertragshändler, war ein Betriebsrat gewählt. Der Kläger war als Kraftfahrzeugmechaniker einer von 5 Werkstattmitarbeitern. Im Ersatzteillager des Betriebes waren 2 Lageristen tätig. Die Beklagte musste bei 2 Inventuren einen Fehlbestand von Ersatzteilen feststellen. Sie machte die Differenzen mit einem Aushang betriebsöffentlich. Nachdem es früher möglich war, dass Werkstattmitarbeiter sich Ersatzteile eigenhändig aus dem Lager holten, wurde dies nach Feststellung der Inventurdifferenzen untersagt und ausschließlich den beiden Lageristen übertragen. Auch durch Gespräche mit den Lageristen konnte ein Verbleib der fehlenden Gegenstände nicht geklärt werden. Darüber hinaus beschloss die Beklagte ohne Information des Betriebsrats heimlich eine Videokamera zu installieren, die Vorgänge im Ersatzteillager aufzeichnet. Die Lageristen stimmten der Aufzeichnung ausdrücklich zu. Auf einer dieser Aufzeichnungen ist der Kläger zu sehen, wie er Ersatzteile entnimmt und in die Hosentasche steckt. Der Verbleib der Teile blieb streitig. Der Kläger konnte keine nachvollziehbare Erklärung für sein Verhalten geben und räumte ein, dass er dem Inhalt der Aufzeichnungen an Stelle der Beklagten so werten würde wie diese.

Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger eine außerordentliche und hilfsweise ordentliche Verdachtskündigung ausgesprochen.
Die Vorinstanzen haben dem Kläger Recht gegeben. Das BAG hat die Entscheidungen aufgehoben und an das LAG zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen.

Entgegen dem LAG hat das BAG ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen der heimlichen Videoaufzeichnung und dem damit verbundenen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers abgelehnt. In Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BAG setzt ein Beweisverwertungsverbot einen Eingriff in Grundrechte voraus. Unter bestimmten Voraussetzungen überwiegt aber das Interesse an der Verwertung eines unter Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht erlangten Beweismittels das Interesse des Arbeitnehmers. Darum bedarf es neben des konkreten Verdachts einer strafbaren Handlung oder einer schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers insbesondere der Tatsache, dass weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind und die verdeckte Videoüberwachung das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt, sowie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist. Geschärft hat das BAG noch einmal die Anforderungen an den konkreten Verdacht. Das BAG stellt heraus, dass es sich nicht um den Verdacht gegen einen konkreten Mitarbeiter handeln muss, sondern dass es ausreichend ist, wenn eine abgrenzbare Gruppe von Mitarbeitern unter Verdacht steht. Weiter hat das BAG klargestellt, dass § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG eine Videoüberwachung dann ermöglicht, wenn der Verdacht von Straftaten von Arbeitnehmern gegen das Vermögen des Arbeitgebers im Raum steht. Dabei muss es sich nicht um einen besonders dringlichen Verdacht handeln, sondern es reicht ein einfacher Anfangsverdacht aus, um unter Hinzunahme der weiteren Voraussetzungen eine solche Videoüberwachung durchzuführen. Das BAG war der Meinung, dass der Arbeitgeber andere Möglichkeiten weitgehend ausgeschöpft hatte. Auch die Durchführung von Taschenkontrollen - wie vom Kläger gefordert - wäre nicht weniger einschneidend gewesen und auch mit einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten verbunden gewesen. Die Intensität der Beobachtung, hier nur des Lagerbereiches, keine Rundumüberwachung, und die Zustimmung der Lageristen, sprachen gegen eine Unverhältnismäßigkeit. Mit der Nichtzustimmung des Betriebsrats hat die Beklagte zwar die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG verletzt, dies führt nach Ansicht des BAG aber im konkreten Fall nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.

Folgen für die Praxis:

Die Entscheidung zeigt, wie auch verschiedene andere Entscheidungen des BAG in jüngster Zeit, dass das Mittel der Videoüberwachung bei Beachtung der Voraussetzungen seitens des Arbeitgebers ein probates Mittel zur Aufklärung von Straftaten im Betrieb darstellt. Blieben nach der ersten Videoentscheidung noch viele Fragen offen, steckt das BAG zunehmend den Rahmen für den Einsatz und die Verwertung solcher Aufzeichnungen ab. Dies wird auch Folgen für die Instanzgerichte haben, die bislang eher dazu neigten, über das Mittel des Beweisverwertungsverbotes in vielen Fällen vorhandene Aufzeichnungen nicht zu verwerten. Besteht aber ein konkreter Verdacht für Straftaten, an den keine besonderen Anforderungen zu stellen sind, und hat der Arbeitgeber alle milderen Mittel ausgeschöpft, kann er zum Mittel der Videoüberwachung greifen. Selbst die Nichteinbeziehung des Betriebsrats, manchmal aus wohlerwogenen Gründen nicht adäquat, führt nicht automatisch dazu, dass man das gewonnene Ergebnis nicht verwerten kann, wie das BAG in der neuesten Entscheidung noch einmal herausstellt. Allerdings ist an die Prüfung, ob mildere Mittel in Betracht kommen, eine erhebliche Sorgfalt anzulegen und die Prüfung oder das Ergebnis der Anwendung solcher Mittel sorgsam aufzuzeichnen, um es in einem späteren Prozess verwenden zu können.

Autor/innen

Michael Wahl

Michael Wahl

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