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21.09.2020

Internet? Metaverse!

Wir werden derzeit Zeugen einer (r)evolutionären Entwicklung, die unseren Alltag – wie die Dampfmaschine oder das Smartphone – drastisch verändern wird.

Die vergangenen Monate des Lockdowns und Social Distancings aufgrund der Coronakrise verfrachteten einen Großteil unseres Arbeits- und Soziallebens rasend schnell in die digitale Welt. Wir bekamen einen ansatzweisen Ausblick auf das mögliche real-virtuelle Hybrid-Leben in nicht allzu ferner Zukunft: Wie wir arbeiten, Freunde treffen, spielen, shoppen oder Konzerte besuchen werden. Wie jene Monate gezeigt haben, waren es vor allem auch Computerspiele, die ihren Nutzer:innen während der Coronakrise ermöglichten, sich trotz physischer Distanz zu treffen und Gemeinsames zu erleben. 

Das Metaverse: Die Puzzleteile liegen bereit

Heute erledigen wir bereits einen Großteil digital: Dank Cloud-Systemen und Instant Messengern können wir von überall arbeiten; bei Twitter geht daher kein Angestellter mehr ins Büro. Viele treffen ihre Freunde online; früher in Chats, heute in „Fortnite“: Dort trat im April dieses Jahres der Rapper Travis Scott auf, und seine 12 Millionen Zuschauer saßen dabei nicht stumm auf den Rängen, sondern konnten während seiner Performance miteinander und innerhalb der Spielewelt interagieren. Im März öffnete in „Minecraft“ die „Uncensored Library“ der Reporter ohne Grenzen ihre Türen, um jungen Menschen in aller Welt unabhängigen Zugang zu Informationen zu ermöglichen. Die Onlinewelt verlagert also nicht nur bereits Bekanntes – wie Lebensmitteleinkäufe – aus der Realität in den digitalen Raum. Sie schafft und erfüllt auch vollkommen neue Bedürfnisse.

Kurioserweise wirkt all das aber zugleich auch veraltet: Am Ende sitzt noch immer ein Mensch vor einem Bildschirm, wie vor einem Fenster in die digitale Welt, deren Teil er letztlich nicht ist. Und auch, wenn die technischen Zugangshürden (etwa dank Neuerungen wie Cloudgaming) immer weiter sinken, benötigt er oder sie eine Vielzahl von Systemen und Programmen; etwa einen Browser zum Shoppen, eine VoD-Plattform für Filme, eine Konsole oder Gaminglauncher zum Spielen. Zugleich sind weit überwiegend die „wirkliche“ und die „digitale“ Welt noch immer getrennt – Frau / Mann spielt zeitgleich entweder auf dem Platz oder in „FIFA 20“ Fußball, trifft Freunde entweder in der Bar oder in „Fortnite“, heiratet in der Kirche oder in „Animal Crossing: New Horizons“. Und wirkt das genannte Travis Scott-Konzert nicht doch (noch) etwas wie ein interaktives Musikvideo?

Das Bild setzt sich zusammen

Visionäre träumten deshalb schon seit langem von einem Ort, der die wirkliche und digitale Welt in Echtzeit vereint, oft genannt das Metaverse. Der Begriff geht auf Neal Stephenson’s Roman „Snow Crash“ aus den 90er Jahren zurück. Dort fliehen die Protagonisten der Handlung aus der Realität immer wieder in das Metaversum, einer Mischung zwischen Internet und MMORPG (Massively Multiplayer Online Role-Playing Game), und bewegen sich dort mithilfe von Avataren. Der Roman „Ready Player One“ und dessen Kinofilm-Visualisierung geben ein moderneres Beispiel und einen Eindruck, wie sich das anfühlen kann.

Nach heutigem Verständnis beschreibt das Metaverse im Wesentlichen einen virtuell-realen Raum, der sämtliche virtuellen Welten als Weiterentwicklung des Internets umfasst. Der allen Menschen ermöglicht, sich live in eine voll funktionierende Wirtschaft einzubringen. Der Blogger und Investor Matthew Ball vergleicht in seinem Essay die heutige digitale Welt mit einem Einkaufszentrum mit unzähligen Shops, deren Produkte weder mit derselben Währung bezahlt noch miteinander zugleich benutzt werden können. Im Metaverse hingegen sollen Daten, digitale Gegenstände und Inhalte untereinander vollkommen kompatibel sein. Eine am Kurfürstendamm erworbene Luxusuhr kann vielleicht künftig auch in Counterstrike oder beim Besuch eines Konzerts – ob digital oder analog – getragen oder verkauft/getauscht werden. Hier soll jede:r erschaffen, besitzen, investieren und verkaufen und für eine undefinierbare Fülle von „Arbeit“ belohnt werden, welche weder allein digital noch analog erbracht werden soll. Was genau das Metaverse letztendlich aber sein wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt kaum erahnen und wird auch entsprechend diskutiert. Um sich ihm zu nähern, hilft Matthew Balls‘ Negativabgrenzung zu dem, was das Metaverse  nicht ist:

  1. Es ist keine virtuelle Welt wie beispielsweise „Second Life“ oder „World of Warcraft“. Beide erweitern nicht unser jetziges „Universum“, sondern sind letztlich nur virtuelle, in sich geschlossene Räume.
  2. Aus demselben Grund sind auch Spiele oder Virtual Reality, wie wir sie heute kennen, kein Metaverse. Auch hier hat der Mensch lediglich das simulierte Gefühl, sich in einer digitalen Welt zu befinden. Das Metaverse mag zwar einige spielähnliche Ziele haben und Spiele einschließen, es ist aber selbst kein Spiel und orientiert sich auch nicht an bestimmten Zielen.
  3. Genauso wenig ist es ein virtueller Themenpark wie in „Rick and Morty oder ein neuer Appstore – es dient nicht nur dem Spaß und der Unterhaltung.

Das Metaverse ist also vielmehr eine virtuelle Manifestation der Realität mit gegenseitigen Wechselwirkungen, wie wir sie eben aus „Ready Player One“ oder „Matrix“ kennen.  Und es steht außer Frage, dass es nicht nur die digitale, sondern auch große Teile der physischen Welt sowie alle Dienste und Plattformen für immer revolutionieren wird.

Gaming als Urknall?

Wie „Fortnite“ oder „Minecraft“ zeigen, ist Ursprung und Motor auf dem Weg zum Metaverse vor allem auch die Gamingindustrie. Das ist wenig überraschend, bedient sie doch eine Zielgruppe mit den höchsten technischen Ansprüchen und Möglichkeiten. Die Schlagzahl der Veröffentlichung von neuen Tools und Puzzlesteinen ist immens. Der Druck aus dieser Branche für die anderen Player ist daher mittlerweile hoch. Wem es gelingt, in naher Zukunft welche technischen Standards zu setzen, bleibt abzuwarten.

Und wie wird sich irgendwann die Existenz des Metaverse retoure auf die Gamingindustrie und insbesondere auf den Esport auswirken? Die Entwicklung der letzten Jahre, Esport aus dem Internet in reale Arenen zu holen, kehrt sich vielleicht wieder um. In einer Arena einem Spieler auf einer Leinwand beim Spielen zuzuschauen, wirkt heute (jedenfalls in Europa) noch neu, in wenigen Jahren aber vielleicht schon angestaubt, wenn der Zuschauer dem Wettkampf auch live auf bzw. in der Map zuschauen kann. Mit fortschreitender technischer Entwicklung wird auch die schon jetzt eigentlich wenig sinnvolle Trennung zwischen „echtem“ und „elektronischen“ Sport immer mehr verschwimmen – gut möglich, dass ein Shooter in einem Metaverse physisch anstrengender wird als heute jedes reale Fußballspiel. Die eigentlich nur noch hierzulande geführte und ermüdende Debatte, ob Esport ein „Sport“ ist, erledigt sich spätestens dann vielleicht von selbst.

Blicken wir schließlich einmal kurz zurück zu den Anfängen des Internets: Es wurde Mitte der 90iger Jahre ernsthaft diskutiert, ob das Internet ein rechtsfreier Raum sei, in dem die geltenden Gesetze keine Anwendung finden könnten. Allein die Diskussion ist heute nicht mehr vorstellbar, und sie wird auch für die nächste Evolutionsstufe – das Metaverse – nicht mehr wiederaufstehen. Die rechtlichen Herausforderungen werden vielfältig und uns an vielen Stellen zum Umdenken zwingen, manche neue Regelungen hervorrufen, aber ansonsten wird das gelten, was im realen Leben schon lange die beste Strategie ist: rechtliche Themen erkennen und smart lösen. Stay tuned.

Autor/innen

Sandra Sophia Redeker

Sandra Sophia Redeker

Partnerin

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