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05.07.2021

Fluch und Segen des notariellen Nachlassverzeichnisses im Pflichtteilsrecht

Schließt der Erblasser seinen Abkömmling oder seinen Ehegatten durch testamentarische Verfügung von der Erbfolge aus, so können Abkömmling bzw. der Ehegatte von dem vom Erblasser bestimmten Erben den Pflichtteil verlangen (§ 2303 BGB). Der gesetzliche Erbe ist also nicht gänzlich von einer Beteiligung am Erbe ausgeschlossen, jedoch reduziert sich der gegenüber dem Erben einforderbare Pflichtteil auf die Hälfte des vom Gesetz eigentlich zugedachten Erbteils. Würde der Erbteil eines Kindes also nach dem Gesetz die Hälfte des Erbes umfassen, so bemisst sich sein Pflichtteil auf ein Viertel.

Der Pflichtteil entsteht zwar qua Gesetz mit dem Erbfall, muss zu seiner Durchsetzung allerdings vom Berechtigten gegenüber dem Erben geltend gemacht werden. Geschieht dies trotz Kenntnis vom Erbfall nicht, so verjährt der Pflichtteilsanspruch nach der dreijährigen Regelverjährung (§ 195 BGB).

Der Pflichtteil stellt eine Geldforderung des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erben dar. Um die Höhe dieser Geldforderung ermitteln zu können, ist zunächst die Bemessungsgrundlage in Gestalt Höhe des Nachlassvermögens durch den Erben festzustellen, denn dieser ist dem Pflichtteilsberechtigten hierüber auskunftspflichtig (§ 2314 BGB). Der Erbe hat also das Aktivvermögen des Nachlasses ebenso wie die Nachlassverbindlichkeiten zu ermitteln und zusammen zu stellen, um das Reinvermögen des Nachlasses zu ermitteln, auf dessen Grundlage dann der entgeltliche Pflichtteilsanspruch berechnet und ausgezahlt werden kann.

§ 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB gibt dem Pflichtteilsberechtigten ein durchaus zweischneidiges Schwert an die Hand, vom Erblasser die Aufnahme des Nachlassverzeichnisses durch einen Notar verlangen zu können. Von dieser Möglichkeit ist von Seiten der Pflichtteilsberechtigten in der Vergangenheit eher nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht worden, d.h. Erbe und Pflichtteilsberechtigter konnten sich ganz überwiegend unter tätiger Mithilfe ihrer anwaltlichen und sonstigen Berater ohne die Einschaltung eines Notars auf den Inhalt des Nachlassverzeichnisses und die Ermittlung des Nachlasswertes verständigen.
 

Aktuelle Entwicklungen bezüglich des notariellen Nachlassverzeichnisses

In jüngster Zeit scheint es quasi in Mode gekommen zu sein, die Einforderung eines notariellen Nachlassverzeichnisses als Druckmittel gegenüber dem Erben bei der Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen einzusetzen. Bei einem solchen, vermeintlich klugen Schachzug wird allerdings oftmals verkannt, dass es nicht mit der Beurkundung eines vom Erben aufgestellten und soweit möglich zu Beweiszwecken mit Belegen unterlegten Nachlassverzeichnisses getan ist. Denn der mit der Nachlassaufstellung vom Erben betraute Notar zeichnet für dessen Inhalt verantwortlich und ist daher gehalten, von sich aus eigene Recherchen zur Ermittlung des Nachlassbestandes anzustellen. Der Erbe seinerseits ist gehalten, den von ihm beauftragten Notar hierbei dergestalt zu unterstützen, indem er dem Notar wahrheitsgemäß und vollständig Auskunft und Nachweise zu dem vom Erben festgestellten Nachlassbestand sowie zu Schenkungen/Zuwendungen des Erblassers Auskunft erteilt.

Liegen dem Erben aber z.B. keine zehn Jahre seit dem Erbfall zurückreichenden Auszüge zu den Konten des Erblassers vor, hat der Notar diese entweder selbst oder über den Erben bei den betreffenden Kreditinstituten einzufordern, um mögliche Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 BGB aus früheren Schenkungen des Erblassers abzuklären. Die Beibringung dieser Kontoauszüge kann mit erheblichen Kosten verbunden sein, welche – ebenso wie die Notarkosten – der Nachlass zu tragen hat (§ 2314 Abs. 2 BGB). Diese, den Nachlass zusätzlich belastende Kosten reduzieren also im Ergebnis die Höhe Pflichtteilsanspruchs insbesondere dann, wenn die vom Notar angestellten Recherchen nicht zu einer Erhöhung des Pflichtteilsanspruchs führen. Hinzu kommt, dass sich die Auszahlung des Pflichtteils an den Berechtigten um etliche Monate verzögert, da die Recherchen des Notars u.a. zu Bankkonten und -unterlagen, Versicherungsverträgen und Immobilienvermögen des Erblassers regelmäßig erhebliche Zeit in Anspruch nehmen werden.
 

Praxistipp

Liegen dem Pflichtteilsberechtigten also keine stichhaltigen Hinweise dazu vor, dass das ihm vom Erben vorgelegte und unterlegte Nachlassverzeichnis unvollständig oder unrichtig ist oder sein könnte, erscheint die zusätzliche Anforderung eines notariellen Nachlassverzeichnisses  geradezu  kontraproduktiv. Denn die damit zusätzlich ausgelösten Kosten und der entstehende zeitliche Verzug laufen unter solchen Vorzeichen den Interessen des Pflichtteilsberechtigten geradezu zu wider.

Die Einforderung eines notariellen Nachlassverzeichnisses sollte von Seiten des Pflichtteilsberechtigten also gut überlegt und sorgfältig abgewogen werden.

Autor/innen

Frank Alen

Frank van Alen

Partner

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