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08.07.2020

Fälle des Eil-Rechtsschutzes im Zusammenhang mit virtuellen Hauptversammlungen

Mit Beschluss vom 26. Mai 2020 hat das Landgericht München I (5. Kammer) - Az. 5 HK O 6378/20 - entschieden, dass die Untersagung der Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung mittels einstweiliger Verfügung zwar grundsätzlich möglich ist, wenn durch den Antragssteller glaubhaft gemacht werden kann, dass die von der Hauptversammlung zu fassenden Beschlüsse insgesamt nichtig wären.

Die Nichtigkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse könne aber nicht damit begründet werden, der Vorstand habe von seinem ihm durch § 1 Abs. 1 COVID-19-Gesetz eingeräumten Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht. Am 26. März 2020, also noch vor Inkrafttreten des COVID-19-Gesetzes, hatte schon das Verwaltungsgericht Frankfurt - Az. 5 L 744/20.F - Eil-Rechtsschutz abgelehnt, da allerdings in die andere Richtung, indem es eine zu diesem Zeitpunkt noch angekündigte physische Hauptversammlung nicht untersagte. 

Zum Hintergrund

Im Münchener Fall (Az. 5 HK O 6378/20) begehrte eine Aktionärin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung zu untersagen. Das zuständige Landgericht München I wies den Antrag auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Verfügung zurück. Die Aktionärin habe allerdings die Möglichkeit, die auf der geplanten Hauptversammlung gefassten Beschlüsse im Nachhinein mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Die Entscheidung des Vorstands für die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung sei eine reine Ermessensentscheidung und als solche im Hinblick auf einen möglichen Ermessensfehlgebrauch zwar auch gerichtlich überprüfbar. Vor diesem Hintergrund sei auch eine Anfechtbarkeit der Beschlüsse im Falle eines Ermessensfehlgebrauchs - etwa bei Gesellschaften mit einem sehr kleinem Aktionärskreis - grundsätzlich denkbar. Die Anfechtung sei auch nicht durch § 1 Abs. 7 COVID-19-Gesetz ausgeschlossen. Im konkret zu entscheidenden Fall fehle es aber am ausreichenden Sachvortrag. 

Das Verwaltungsgericht Frankfurt hatte zu entscheiden, ob die damals noch als Großveranstaltung angekündigte physische Hauptversammlung mit Blick auf die Pandemie im Eilverfahren zu verbieten war, und hat dies mit Blick auf das damals bereits in Vorbereitung befindliche COVID-19-Gesetz und die Erklärung des dortigen Vorstands, danach den virtuellen Weg gehen zu werden, abgelehnt. 

Eine Einordnung der beiden Entscheidungen

Die Entscheidungen beider Gerichte sind rechtsdogmatisch nicht zu beanstanden. Mit Blick auf die Aktionärsdemokratie hinterlässt die Entscheidung des Landgerichts München I jedoch - vor allem wegen des pauschalen Verweises auf die Anfechtungsklage - eine Unsicherheit. Immerhin wurden durch das COVID-19-Gesetz die Rechte der Aktionäre stark beschnitten. So wurde vor allem das Fragerecht der Aktionäre im Dialog praktisch ausgeschlossen und durch eine vorgezogene Fragemöglichkeit ersetzt. Der Vorstand beantwortet diese Fragen dann nach seinem pflichtgemäßen freien Ermessen. Auch Antragsrechte der Aktionäre hat der Gesetzgeber bei einer virtuellen Hauptversammlung  implizit ausgeschlossen. Und auch das Anfechtungsrecht besteht nur noch eingeschränkt. Werden die - durch das COVID-19-Gesetz bereits reduzierten - Rechte der Aktionäre bei einer virtuellen Hauptversammlung verletzt, sind diese nur dann zur Anfechtung berechtigt, wenn der Vorstand vorsätzlich gehandelt hat. Grob fahrlässige Verletzungen dieser Rechte führen nicht dazu, dass Beschlüsse anfechtbar sind. Aktionären bleibt also unter dem COVID-19-Gesetz nur wenig Handhabe, Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit einer virtuellen Hauptversammlung gerichtlich geltend zu machen.

Dies zeigt einerseits, dass die in der Vergangenheit häufig schon verlangte, generelle Einführung virtueller Hauptversammlungen über die aktuelle Ausnahmesituation hinaus nicht nur mit einer Fortschreibung des COVID-19-Gesetzes erfolgen sollte. Andererseits kann ein Unternehmen, das bei seiner Entscheidung, wie es die Hauptversammlung durchführt, die aktuelle Situation angemessen einbezieht, sich auf die geltenden gesetzlichen Möglichkeiten berufen, ohne Untersagungen fürchten zu müssen. 

Praxistipp

Rechtspolitisch bleibt daher zu hoffen, dass Unternehmen von den gesetzlich sicher wegen der Ausnahmesituation richtigen und notwendigen Erleichterungen des COVID-19-Gesetz immer maßvoll Gebrauch machen. In die Abwägungen des Vorstands zur Form der Hauptversammlung sollte nicht nur die pandemiebedingte Gefährdungslage eingestellt werden, sondern auch die Verkürzung der Aktionärsrechte durch das COVID-19-Gesetz. Aus anwaltlicher Sicht ist den Unternehmen anzuraten, den Abwägungsprozess sowie dessen tragende Überlegungen zur Frage der Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung gut zu dokumentieren

Autor/innen

Tatjana Schroeder

Dr. Tatjana Schroeder

Partnerin (Of Counsel)

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