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29.07.2020

Darlegungs- und Beweislast bei „alter“ und „neuer“ Krankheit

Darlegungs- und Beweislast bei „alter“ und „neuer“ Krankheit
Darlegungs- und Beweislast bei „alter“ und „neuer“ Krankheit
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist grundsätzlich auf die Dauer von sechs Wochen begrenzt.

Das BAG hat nun seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und im BAG, Urteil vom 11. Dezember 2019, 5 AZR 505/18 entschieden, dass bei einer Krankschreibung im Anschluss an eine Ersterkrankung der Arbeitnehmer im Streitfall beweisen muss, dass die alte Krankheit bereits überwunden ist.

Zum Hintergrund

Im vorliegenden Fall streiten die Parteien über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Klägerin war aufgrund eines psychischen Leidens ab Februar 2017 arbeitsunfähig. Bis Mitte März 2017 leistete die Beklagte regulär Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Anschließend bezog die Klägerin auf der Grundlage von Folgebescheinigungen ihrer Hausärzte, die eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bis 18. Mai 2017 attestierten, Krankengeld. Kurz darauf unterzog sich die Klägerin einer seit längerem geplanten Operation.

Ab 19. Mai 2017 wurde der Klägerin hierfür durch ihre niedergelassene Frauenärztin mit einer „Erstbescheinigung“ Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich Ende Juni 2017 attestiert. Im Juli 2017 begann die Klägerin eine psychotherapeutische Behandlung bei einem Neurologen und erbrachte keine Arbeitsleistung mehr. Für die Zeit vom 19. Mai bis zum 29. Juni 2017 leistete weder die Beklagte Entgeltfortzahlung, noch wurde der Klägerin seitens ihrer Krankenkasse Krankengeld bewilligt. Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung habe am 18. Mai 2017 geendet und erst die Operation vom 19. Mai 2017 habe erneut zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt. Ab diesem Tag sei deshalb ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen entstanden.

Das Ergebnis des Urteils

Das Arbeitsgericht Hannover hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LAG Niedersachsen die Klage jedoch abgewiesen. Mit der vom LAG zugelassenen Revision begehrte die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Revision hatte jedoch keinen Erfolg.

Das BAG entschied, dass das LAG die Klage zu Recht abgewiesen hat. Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ist der Entgeltfortzahlungsanspruch auf die Dauer von sechs Wochen begrenzt. Dies gelte nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls auch dann, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. In einem solchen Fall könne der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen.

Ein neuer Entgeltanspruch entstehe nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt. Dies sei dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden.

Maßgeblich für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit sei dabei die Entscheidung des Arztes. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin nicht bewiesen, dass die neue Erkrankung die Arbeitsunfähigkeit erst zu einem Zeitpunkt ausgelöst hat, zu dem die vorangegangene krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bereits beendet war; dabei treffe sie die Darlegungs- und Beweislast. Meldet sich nämlich ein Arbeitnehmer im unmittelbaren Anschluss an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krank, und bestreitet der Arbeitgeber substantiiert unter Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls, dass Arbeitsunfähigkeit infolge der „neuen“ Krankheit erst zu einem Zeitpunkt eingetreten sei, zu dem die erste krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bereits beendet war, habe der Arbeitnehmer diesen Umstand als anspruchsbegründende Tatsache darzulegen und im Streitfall zu beweisen. Dies gelang der Klägerin im vorliegenden Fall nicht.

Praxishinweis

Das Gericht begründet die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im vorliegenden Fall damit, dass es bei Bescheinigungen, die zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen denen lediglich ein arbeitsfreier Tag liegt, dem Arbeitgeber angesichts fehlender zwischenzeitlicher Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers nahezu unmöglich ist, konkrete Anhaltspunkte zur Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Bescheinigungen vorzutragen. Es sei deshalb dem Arbeitnehmer zuzumuten, seine Behauptung, es lägen voneinander zu trennende Verhinderungsfälle vor, durch konkreten Vortrag zu den Krankheitsursachen sowie zum Ende bzw. Beginn der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit zu substantiieren und hierfür ggf. vollen Beweis zu erbringen.

Autor/innen

Sabrina Hochbrückner

Sabrina Hochbrückner

Senior Associate

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