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26.04.2019

Betriebsrat 4.0

Die Digitalisierung macht auch vor der Betriebsratsarbeit nicht halt. Zunehmend kommunizieren Arbeitgeber und die Arbeitnehmervertretungen per E-Mail statt in herkömmlicher Papierform, Betriebsräte verbreiten auf elektronischem Weg Informationen in der Belegschaft oder nutzen digitale „schwarze Bretter“ im Intranet. Doch wo stellt das Betriebsverfassungsgesetz Grenzen für die virtuelle Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat auf?

Bildrechte: golubovy  fotolia.com

Diskutiert wird dies aktuell insbesondere in Bezug auf die Zulässigkeit der Abhaltung von Betriebsratssitzungen per Videokonferenz. Für die Betriebsratsmitglieder kann dies eine erhebliche Erleichterung darstellen, etwa wenn es darum geht, Teilnehmer mit verschiedenen Arbeitszeitmodellen unter einen Hut zu bringen oder Mitgliedern, die im Homeoffice oder einer Außenstelle des Betriebs tätig sind, eine Sitzungsteilnahme ohne Reiseaufwand zu ermöglichen. Aber auch der Arbeitgeber kann ein Interesse an der Abhaltung von Videokonferenzen anstelle von klassischen Präsenzsitzungen haben. Gerade bei großen, überörtlichen Gremien wie Gesamtbetriebsräten lassen sich so in erheblichem Umfang Reisekosten einsparen. Außerdem wird in Eilfällen die Abhaltung kurzfristiger Betriebsratssitzungen erleichtert. Aber steht dieses pragmatische Vorgehen mit geltendem Recht im Einklang?

Das Betriebsverfassungsgesetz schreibt vor, dass Beschlüsse des Betriebsrats „in Sitzungen“ in Anwesenheit von mindestens der Hälfte seiner Mitglieder gefasst werden. Die Sitzungen des Betriebsrats haben nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nichtöffentlich stattzufinden. Die wohl nach wie vor herrschende Meinung hält für eine wirksame Beschlussfassung eine physische Präsenz der Betriebsratsmitglieder für erforderlich. Zudem stehe auch der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit einer Abhaltung von Betriebsratssitzungen per Videokonferenz entgegen, da dies deutlich das Risiko erhöhe, dass – vom Großteil des Gremiums unbemerkt – auch unberechtigte Dritte an der Sitzung teilnehmen. Zumindest letzteres Argument überzeugt allerdings nicht. In Zeiten, in denen im Regelfall jedes Betriebsratsmitglied über ein Smartphone verfügt, besteht auch bei einer Präsenzsitzung das Risiko, dass die Wortbeiträge in der Sitzung heimlich aufgezeichnet und/oder direkt an Dritte außerhalb des Sitzungsraums übertragen werden.

Zunehmend melden sich Stimmen zu Wort, die für eine zeitgemäßere Auslegung der gesetzlichen Vorschriften über Sitzungen und Beschlussfassung des Betriebsrats plädieren. Vom Sinn und Zweck der Bestimmungen müsse es ausreichen, wenn sich die Mitglieder sowohl verbal austauschen als auch unmittelbar visuell wahrnehmen können. Dies ist bei einer Videokonferenz anders als bei einer Telefonkonferenz oder etwa einer schriftlichen Beschlussfassung im Umlaufverfahren – die allgemein für unzulässig gehalten wird – gewährleistet.

Eine eindeutige Regelung des Gesetzgebers, die die Abhaltung von Betriebsratssitzungen im Rahmen einer Videokonferenz ausdrücklich erlaubt, wäre wünschenswert. Die zwingende Präsenzpflicht kann im Einzelfall einen erheblichen Mehraufwand (z.B. durch Reisetätigkeiten) mit sich bringen und erscheint nicht mehr zeitgemäß. In anderen Gesetzen wurde die Abhaltung von Sitzungen im Wege von Videokonferenzen ausdrücklich für zulässig erklärt. So können etwa Aufsichtsratssitzungen nach dem Aktiengesetz auch als Videokonferenzen abgehalten werden. Das Gesetz über Europäische Betriebsräte erlaubt für Seebetriebsräte explizit eine virtuelle Teilnahme an Betriebsratssitzungen.

Solange im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes keine klare gesetzliche Regelung vorliegt, besteht das Risiko, dass im Rahmen von Videokonferenzen gefasste Betriebsratsbeschlüsse unwirksam sind. Auf Vertrauensschutz wird sich der Arbeitgeber jedenfalls dann nicht berufen können, wenn er wusste oder wissen musste, dass der Beschluss nicht im Rahmen einer Präsenzsitzung gefasst wurde.

Fazit:

Nach der derzeitigen Gesetzeslage bleibt die Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen von Videokonferenzen risikobehaftet. Je nach Interessenlage kann dieses Risiko auch für den Arbeitgeber relevant sein, so etwa wenn es um den Abschluss von Betriebsvereinbarungen oder die Zustimmung zur Kündigung von Mandatsträgern geht. Hier sollte arbeitgeberseitig kein Risiko eingegangen und darauf geachtet werden, dass der Betriebsrat in einer Präsenzsitzung beschließt. Bei weniger gravierenden Themen wie der kurzfristigen Anordnung von Überstunden oder der Einstellung von befristeten Aushilfen erscheint es hingegen aus pragmatischen Gründen vertretbar, im Einvernehmen aller Beteiligten auch einen in einer Videokonferenz gefassten Beschluss zu akzeptieren.