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06.07.2022

Aufhebungsverträge und das Gebot des fairen Verhandelns

Statt durch Kündigung kann ein Arbeitsverhältnis auch einvernehmlich mittels Aufhebungsvertrag (auch Aufhebungsvereinbarung oder Auflösungsvertrag genannt) zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beendet werden. Hierbei muss das Gebot des fairen Verhandelns beachtet werden.

Aber verhandelt ein Arbeitgeber noch fair, wenn er dem Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag vorlegt, den dieser nur sofort und ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes/Rechtsrates annehmen kann?

1. Aufhebungsvertrag

Es gibt verschiedene Möglichkeiten das Arbeitsverhältnis zu beenden. Das Arbeitsverhältnis durch einen Aufhebungsvertrag zu beenden, stellt eine besonders beliebte Variante dar – vor allem für Arbeitgeber. Denn wegen der Privatautonomie können beide Vertragsparteien (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) das Arbeitsverhältnis jederzeit einvernehmlich, ohne Vorliegen eines Kündigungsgrundes oder anderer Voraussetzungen (wie z.B. der Beteiligung des Betriebsrats) und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, aufheben und damit beenden.

Die Vertragsparteien müssen ihren Willen, das Arbeitsverhältnis aufzuheben, lediglich schriftlich manifestieren, vgl. § 623 BGB.

Seine rechtlichen Grenzen findet der Aufhebungsvertrag, wenn er z.B. gegen ein gesetzliches Verbot, gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), gegen Sittenwidrigkeit oder gegen das Gebot des fairen Verhandelns verstößt.

2. Gebot des fairen Verhandelns

Das Gebot fairen Verhandelns ist eine im Rahmen von eigenständigen Rechtsgeschäften bei der Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht i.S.d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB (BAG, Urteil vom 07.02.2019 – 6 AZR 75/18). Da der Aufhebungsvertrag ein eigenständiges Rechtsgeschäft darstellt, findet diese Nebenpflicht und damit das Gebot des fairen Verhandelns auch im Zusammenhang mit der Aufnahme von Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag Anwendung (BAG, Urteil vom 07.02.2019 – 6 AZR 75/18).

Ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns liegt vor, wenn eine Seite bei der Aufnahme der Vertragsverhandlungen eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Entscheidend ist hierbei vor allem, ob die eine Seite den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit in zu missbilligender Weise beeinflusst, also z.B. eine psychische Drucksituation schafft oder ausnutzt, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht (BAG Urteil vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21).

Durch den Grundsatz des fairen Verhandelns soll bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses ein Mindestmaß an Fairness gewährleistet werden (BAG, Urteil vom 07.02.2019 – 6 AZR 75/18). Ob dies in einer konkreten Verhandlungssituation gewährleistet wurde, ist anhand der Gesamtumstände im jeweiligen Einzelfall zu eruieren.

3. Vorlage eines Aufhebungsvertrages zur sofortigen Unterzeichnung – Entscheidung des BAG vom 24. Februar 2022 (Az.: 6 AZR 333/21)

In seiner aktuellen Entscheidung vom 24. Februar 2022 setzte sich das BAG mit dem Grundsatz des fairen Verhandelns auseinander.

a) Sachverhalt

Dabei lag der Entscheidung des BAG der folgende Sachverhalt zugrunde: Eine Arbeitnehmerin wurde zur Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages in das Büro des Geschäftsführers gebeten. Als die Arbeitnehmerin dort eintraf, stellte sich der ebenfalls gemeinsam mit dem Geschäftsführer vor Ort anwesende Rechtsanwalt des Arbeitgebers gegenüber der Arbeitnehmerin als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht vor. Dann warfen die Beiden (der Geschäftsführer und der Rechtsanwalt) der Arbeitnehmerin vor, Betrug gegenüber und zu Lasten des Arbeitgebers begangen zu haben. In diesem Zuge legten sie der Arbeitnehmerin einen vorbereiteten Aufhebungsvertrag vor, der ein einvernehmliches Ausscheiden der Arbeitnehmerin aus betrieblichen Gründen vorsah.

Darüber hinaus, so behauptete die Arbeitnehmerin, hätten der Geschäftsführer und der Rechtsanwalt der Arbeitnehmerin sowohl Ihrer Bitte nach weiterer Bedenkzeit als auch ihrem Wunsch nach Rechtsbeistand nicht entsprochen. Vielmehr, so behauptete die Arbeitnehmerin weiter, hätte der Rechtsanwalt des Arbeitgebers erklärt, der Aufhebungsvertrag sei „vom Tisch“, wenn die Arbeitnehmerin durch die Tür gehe.

Nach einer etwa zehnminütigen Pause (dies ist wieder unstreitig und wird nicht nur von der Arbeitnehmerin behauptet), in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, unterzeichnete die Arbeitnehmerin dann letztendlich den angebotenen Aufhebungsvertrag.

b) Rechtliche Bewertung

Das BAG entschied, dass der Arbeitgeber in diesem Fall nicht gegen das Gebot des fairen Verhandelns verstieß. Insbesondere verletzte er die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmerin nicht dadurch, dass er ihr den Aufhebungsvertrag zur sofortigen Annahme vorlegte, so dass sie sich direkt entscheiden musste (BAG Urteil vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21).

Ferner argumentierte das BAG: Um das Gebot des fairen Verhandelns einzuhalten, muss die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners gewährleistet werden. Das bedeutet, dass der Vertragspartner jederzeit „Herr“ über seine Entscheidung sein und bleiben soll. Dies ist unter anderem dann nicht mehr der Fall, wenn der Arbeitnehmer bei objektivierter Betrachtung davon ausgehen muss, dass ihm nur noch die Option verbleibt, den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben, um sich der Verhandlungssituation zu entziehen.

Eine solche Konstellation ist aber von der Situation abzugrenzen, in der ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein nur "Jetzt und Heute“ anzunehmendes Angebot (vgl. BAG, Urteil vom 27.11.2003 - 2 AZR 135/0) unterbreitet. Denn damit entspricht der Arbeitgeber lediglich dem gesetzlichen Leitbild, wonach ein unter Anwesenden unterbreitetes Angebot nach § 147 Abs. 1 S. 1 BGB nur sofort angenommen werden kann. In diesem Zusammenhang kann der Arbeitnehmer immer noch frei entscheiden, dieses Angebot nicht anzunehmen und die Situation durch ein schlichtes „Nein“ zu beenden. Dass dann der Abschluss des Aufhebungsvertrags ausgeschlossen gewesen wäre, ist die normale gesetzliche Folge des § 147 Abs. 1 S. 1 BGB und stellt sich damit nicht als unfair dar. Es handelt sich hierbei vielmehr um einen im Rahmen von Vertragsverhandlungen zulässigen Druck, mit dem der Arbeitgeber auf legitime Weise versucht, sein Verhandlungsziel zu erreichen (BAG Urteil vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21).

Überdies liegt auch kein unfaires Verhandeln vor, wenn der Arbeitgeber in einer solchen Situation der Bitte des Arbeitnehmers nach Einräumung einer (weiteren) Bedenkzeit und Einholung eines Rechtsrates nicht nachkommt, sondern gegenüber dem Arbeitnehmer vielmehr betont, dass er das Aufhebungsvertragsangebot nicht mehr aufrechterhält, wenn der Arbeitnehmer den Raum verlässt. Der Arbeitnehmer kann sich dieser Situation auch in dieser Konstellation jederzeit durch ein schlichtes „Nein“ entziehen (BAG Urteil vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21).

Entscheidend ist laut BAG in einer solchen Situation folglich die aus objektiver Sicht zu beantwortende Frage:

Kann sich der Arbeitnehmer der Verhandlungssituation durch ein bloßes „Nein“ entziehen oder kann der Arbeitnehmer die Verhandlungssituation nur noch durch das Unterschreiben des Aufhebungsvertrages beenden?

4. Fazit

Vor allem für den Arbeitgeber ist die Entscheidung des BAG zu begrüßen. Denn der Arbeitgeber kann seine Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitnehmer bei Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag nun insoweit rechtssicher stärken, als dass er den Arbeitnehmer zeitlich unter Druck setzen darf. Gerade in Fällen, in denen sich der Arbeitgeber einigen möchte, um eine außerordentliche Kündigung zu vermeiden, ist dies (auch im Sinne des Arbeitnehmers) sehr sinnvoll. Schließlich hat der Arbeitgeber bei einer außerordentlichen Kündigung einen enormen Zeitdruck, da er die 2-wöchige Ausschlussfrist einhalten muss. Sofern er den Arbeitnehmer im Rahmen von Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag jedoch nicht derart zeitlich unter Druck setzen dürfte, wäre er davon abgehalten, überhaupt einen Einigungsversuch mit dem Arbeitnehmer anzustrengen.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass für den Arbeitnehmer zwar regelmäßig eine Ausnahmesituation bei der Verhandlung über einen Aufhebungsvertrag vorliegt, diese jedoch nicht automatisch zur Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages aufgrund des Verstoßes gegen das Gebot des fairen Verhandelns führt. Schließlich handelt es sich bei der Verhandlung über einen Aufhebungsvertrag immer noch um eine im Rahmen der Vertragsfreiheit geführte Verhandlung bei der beide Vertragsparteien die Möglichkeit haben sollten (wie bei anderen Vertragsverhandlungen ebenfalls üblich), Druck auszuüben, um ihre Verhandlungsziele zu erreichen.

Autorin: Larissa-Roxana Stergiou, Rechtsanwältin für Arbeitsrecht