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29.03.2019

Auch Leitende Angestellte können für «Ad-hoc-Meldungen» an die Märkte verantwortlich sein: Oberlandesgericht Braunschweig stärkt nicht nur VW-Anleger im Musterverfahren

Die Frage der Wissenszurechnung im Konzern spielt im Recht der Ad-hoc-Publizität für alle entsprechend notierten Gesellschaften eine große Rolle. Dies zeigt sich nun auch am Fall „Porsche/VW“ und in dem aktuellen Anlegerprozess zu „Dieselgate“. In dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig (Az. 3 Kap 1/16) geht es um die Frage, ob VW die Märkte rechtzeitig über den Skandal um Millionen von manipulierten Dieselautos informiert hat. Eine „Ad-hoc-Mitteilung“ im Abgasskandal hatte der Konzern (erst) am 22.09.2015 veröffentlicht. Aus Sicht der Kläger und vieler weiter Anleger war dies aber zu spät. Das wirft die grundsätzliche, bislang von der Rechtsprechung noch nicht entschiedene Rechtsfrage auf, wann von einem Wissen des Emittenten über ihn betreffende Insiderinformationen auszugehen ist und inwieweit dieses Wissen dabei juristisch auch bereits durch Wissenszurechnung entstehen kann.

Bildrechte: airdone – fotolia.com

Der Anlegerprozess „Dieselgate“ wurde nach fast viermonatiger Unterbrechung am 25.3.2019 in Braunschweig fortgesetzt. Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig gab dabei seine vorläufige Auffassung bekannt, dass auch das Wissen von Managern unterhalb der Vorstandsebene des Emittenten für die mögliche kursrelevante Information der Märkte entscheidend sein könne. Dazu zählten im konkreten Fall bei Volkswagen auch die Bereichsleiter, insbesondere die Leiter der Motorenentwicklung und der Produktsicherheit. Denn Leitende Angestellte wie Bereichsleiter hätten direkten Kontakt zum Vorstand. Zudem sei in der Motorenentwicklung regelmäßig mit Insiderwissen zu rechnen, das sich auf die Geschäfte der Volkswagen AG auswirken und deshalb relevant für die Märkte sein könne. Damit sei – so die vorläufige Rechtseinschätzung des Gerichts – nicht nur der Vorstand für sogenannte „Ad-hoc-Meldungen“ an die Märkte verantwortlich, sondern diese Verantwortlichkeit erstrecke sich auch auf solche Leitenden Angestellten. Aus diesem Grunde sei auch nicht entscheidend, wann der Vorstand von VW über die Abgas-Manipulationen und die finanzielle Tragweite dieses Sachverhalts erstmals „offiziell“ informiert wurde.

Die vorläufige Einschätzung des Gerichts ist durchaus plausibel. Der Wortlaut von Art. 17 MAR enthält keinen Hinweis darauf, dass nur solche Informationen ad-hoc-pflichtig seien, die der Emittent kennt. Das könnte dafür sprechen, dass auch Wissen zuzurechnen ist, das dem Vorstand jedenfalls bei ordnungsgemäßer Wissensorganisation zugänglich gewesen wäre, also auch solches Wissen von Leitenden Angestellten. Im Gegensetz zu den Regelungen über das Insiderhandelsverbot (Art. 8, 9 MAR) setzt die Ad-hoc-Meldepflicht nach Art. 17 MAR auch keinen „Besitz der Information“ des Emittenten oder ein „über die Information verfügen“ voraus.

Hinzu kommt, dass auch für Eigengeschäfte von Führungskräften (Directors’ Dealings, Art. 19 MAR) die Auffassung vertreten wird, dass sich die Veröffentlichungspflicht nicht nur auf Eigenschäfte der Leitungs-, Verwaltungs- und Aufsichtsorgane des Unternehmens bezieht, sondern auch auf solche höherer Führungskräfte. Vor diesem Hintergrund erscheint die vorläufige Einschätzung des Oberlandesgerichts Braunschweig auch übergreifend und über „Dieselgate“ hinaus MAR-systemkonsequent und könnte Folgen haben.

In dem milliardenschweren Kapitalanleger-Musterverfahren gegen Volkswagen ist aber noch nichts entschieden. Denn für das Verfahren ist noch eine andere Frage relevant: Waren die hier in Rede stehenden Informationen konkret als „kursrelevant“ einzustufen? Die Ad-hoc-Pflicht setzt ein Kursbeeinflussungspotenzial der betreffenden Information voraus. Eine Kursrelevanz habe aber gefehlt, so VW. Diese Frage ließ das Oberlandesgericht Braunschweig bislang noch offen. Fortgesetzt werden soll die mündliche Verhandlung spätestens im September 2019. Dann wird nicht nur VW weitersehen, sondern auch alle anderen Emittenten werden erkennen können, ob über das OLG Braunschweig die erste konkrete Entscheidung zur Wissenszurechnung vorliegt.

Autor/innen

Tatjana Schroeder

Dr. Tatjana Schroeder

Partnerin (Of Counsel)

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