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29.03.2018

Arbeiten 4.0 – agile Prozess- und Organisationsmethoden wie Scrum und ihre richtige Ausgestaltung

Diskussionen rund um das Themenfeld „Arbeiten 4.0“ sind en vogue. Das Bundeministerium für Arbeit und Soziales sah sich sogar dazu bemüßigt, hierzu ein so genanntes „Weißbuch“ zu veröffentlichen. Es überrascht daher nicht, dass das Arbeitsministerium das Themenfeld „Arbeiten 4.0“ als „Schwerpunkt“ deklariert (zumindest auf der Homepage des Ministeriums); gleiches gilt für die Thematik Leiharbeit / Werkverträge, einer Thematik, die im Rahmen von „Arbeiten 4.0“ erhebliche Bedeutung hat. Arbeiten 4.0 und agile Arbeitsprozesse

Was ist aber „Arbeiten 4.0“ und warum existiert ein Spannungsfeld zwischen dieser modernen Arbeitsform und einem klassischen Problemfeld, dem sich Arbeitsrechtler seit langer Zeit ausgesetzt sehen. Was „Arbeiten 4.0“ genau ist, lässt sich, zumindest nach Auffassung des Arbeitsministeriums, noch nicht genau sagen; eines sei aber sicher: „Arbeiten 4.0“ werde vernetzter, digitaler und flexibler sein. Auch das öffentliche Meinungsbild geht davon aus, dass sich Arbeitszeiten, Arbeitsleistung und Arbeitsort erheblich verändern werden; Arbeitnehmer arbeiten in flachen Hierarchien (oder im gewollten und bewussten „Chaos“), um pragmatische, aber auch neuartige Lösungsansätze zu finden – Arbeitnehmer werden mehr „always-on“ sein – klassische Arbeitsformen werden zum Auslaufmodell. Letzteres zeigt sich in etlichen Branchen seit längerer Zeit schon, speziell im IT-Bereich: Um das gewünschte Produkt präsentieren zu können, haben sich agile Prozess- und Organisationsmethoden eingebürgert, von denen man annimmt, dass gerade die Entwicklung geistiger Werke hierdurch gefördert wird.

Eine mittlerweile bekanntere Organisationsmethodik ist Scrum. Hierunter wird im Wesentlichen ein agiler Prozess im Rahmen der Softwareentwicklung verstanden. Eigene Mitarbeiter und Mitarbeiter anderer Arbeitgeber (und/oder eine Gruppe verschiedener Selbstständiger) versuchen unter Anleitung eines sog. Product Owners ein Produkt zu entwickeln. Die Entwicklung verläuft in der Regel in mehreren Etappen, wobei der regelmäßige (agile) Austausch von Informationen untereinander dieses Ziel besonders fördern soll. Der Product Owner darf hierbei fachliche Weisungen erteilen, da er unter anderem für die Festlegung und Priorisierung der Produkteigenschaften verantwortlich ist – er ist der Projektverantwortliche.

Drittpersonaleinsatz und agile Arbeitsprozesse

Nicht erst seit dem 1. April 2017 ist in solchen Konstellationen Vorsicht geboten. Zu diesem Zeitpunkt traten neue Regelungen zur Arbeitnehmerüberlassung sowie zum angeblich exzessiven Missbrauch von Werk- und Dienstverträgen in Kraft. Seitdem ist auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, dass der Einsatz von Fremdpersonal im eigenen Betrieb kritisch zu bewerten sein kann. Dies gilt umso mehr, wenn eigene Arbeitnehmer fremden Arbeitnehmern bestimmte Weisungen erteilen dürfen (oder sogar sollen). Erfolgt nämlich ein Drittpersonaleinsatz nicht in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Regelungen (z.B. eingesetzte Selbstständige sind „Schein“-Selbstständige oder bei offiziellen Dienstleistungen handelt es sich tatsächlich um verdeckte – und damit unzulässige – Arbeitnehmerüberlassung), hat dies empfindliche finanzielle und mitunter auch mediale Konsequenzen für die beteiligten Parteien zur Folge.

Sollte man daher von agilen Prozessmethoden und sonstigen (neuen) Formen des Drittpersonaleinsatzes außerhalb der regulären Arbeitnehmerüberlassung Abstand nehmen? Auch wenn einige Stimmen dies als notwendige Konsequenz ansehen, ist die Frage ganz klar mit „nein“ zu beantworten.

So erklärt schon der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den zum 1. April 2017 in Kraft getretenen Neuregelungen, dass „die Neuregelungen dem sachgerechten Einsatz von Werk- und Dienstverträgen in den zeitgemäßen Formen des kreativen oder komplexen Projektgeschäfts nicht entgegenstehen sollen, wie sie zum Beispiel in der Unternehmensberatungs- oder IT-Branche in Optimierungs-, Entwicklungs- und IT-Einführungsprojekten anzutreffen seien“.

Diese eindeutige Positionierung verdeutlicht eine gewisse Offenheit für neue Produktions- und Ar-beitsformen – was auch im Koalitionsvertrag der neuen „GroKo“ entsprechend abgebildet wird – und zeigt daher die Zukunftsfähigkeit entsprechender Konstruktionen. Wichtig wird weiterhin die richtige Ausgestaltung sein.

Verträge und agile Arbeitsprozesse

Hierzu muss zunächst eine taugliche formelle Basis gelegt werden. Prüfungsbehörden schauen sich als Erstes die vertragliche Grundlage an, um den Prozess als solchen zu verstehen und um die Kongruenz von formeller Lage und gelebter Praxis (denn diese ist am Ende maßgebend) beurteilen zu können. Die Vertragsparteien müssen hier Einigkeit über den Prozess und dessen Ablauf erzielen, und beides sorgfältig und verständlich niederlegen. So muss bei Scrum u.a. das Ziel (d.h. die Anforderungen an das Produkt) definiert und festgelegt werden, sowie wie dies (in der Regel in sog. Sprints) erreicht werden soll. Des Weiteren müssen sich die Parteien auf den Product Owner sowie den Scrum Master (eine Art Schiedsrichter, der u.a. darüber wacht, dass die Grundregeln von Scrum und v.a. die vertraglich niedergelegten Prozessregeln eingehalten werden) einigen. Ferner muss aus den vertraglichen Unterlagen eindeutig hervorgehen, dass weder der Product Owner noch der Scrum Master ein klassisches arbeitgeberseitiges Weisungsrecht gegenüber den einzelnen Mitgliedern des Scrum-Teams haben (die Erteilung von Weisungen zu Art, Ort und Zeit der Dienstleitungen ist ein wesentliches Kriterium im Rahmen von Scheinselbstständigkeit/unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung).

So ist die Eigenorganisation bzgl. der Erledigung und Ausgestaltung der geschuldeten Leistungen die Grundidee von Scrum (und eine wesentliche Voraussetzung für die Qualifizierung einer selbstständigen Tätigkeit) – ein Projekt soll gerade nicht von Anfang vollumfänglich durchgeplant sein, sondern sich im kreativen Prozess entwickeln; ein starres Weisungsgebilde konterkariert inhaltlich diese Idee, sodass im Ergebnis kein Scrum-Prozess vorliegt.

Die gelebte Praxis und agile Arbeitsprozesse

Eine formell ordnungsgemäße Grundlage ist eine notwendige Voraussetzung, um keine Probleme mit etwaigen Prüfbehörden zu bekommen; viel wichtiger ist gleichwohl die „gelebte Praxis“. Die Parteien müssen peinlich genau auf die Respektierung der abgestimmten formellen Inhalte achten. Insoweit kommt dem Scrum Master eine entscheidende Rolle zu: Als zunächst passiver Beobachter des Prozesses muss er aktiv werden, wenn Beteiligte sich „verselbstständigen“ oder sonstige Fehlentwicklungen auftreten – diese muss er korrigieren. Er fungiert als eine Art interner Auditor. Jegliches Einschreiten sollte dokumentiert werden, um bei Bedarf die ordnungsgemäße Abwicklung des Prozesses belegen zu können – die Praxis zeigt, dass Behörden interne Kontrollmechanismen, sofern sie angewendet werden und greifen, honorieren; umgekehrt erhärten sich Vorwürfe schneller, sofern ein effizienter Kontrollmechanismus fehlt. Darüber hinaus hilft eine lückenlose Dokumentation, um Diskussionen mit dem Vertragspartner über die vertragsgemäße Leistungserfüllung gestalten zu können.

Die Kontrollmechanismen müssen sich in der Praxis stets beweisen und entsprechend kontrolliert werden – nicht zuletzt der sog. Daimler-Fall (ein Einsatz von IT-Mitarbeitern, der als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung qualifiziert worden ist) verdeutlicht, dass schon geringe Abweichungen von den vereinbarten Vertragskonditionen ausreichend sein können, um in die Gefahr der verdeckten Leiharbeit zu geraten.

Fazit

In Zeiten, in denen die Politik den Wirtschaftsteilnehmern Gestaltungsmöglichkeiten nimmt (zunehmende Restriktionen bei der Leiharbeit – nicht zuletzt die Abschaffung der „Fallschirmlösung“ – oder die angekündigten Verschärfungen im Teilzeitrecht), sollten sich Unternehmen nicht von kreativen Lösungen abschrecken lassen. Sofern die Rahmenbedingungen formell und im Alltag einwandfrei abgebildet werden, können komplexe Projekte oder weiterhin einfache Dienstleistungen ohne Probleme durch Drittpersonal erledigt werden.

Autor/innen

Alexander Möller

Alexander Möller

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