Außerordentliche Kündigung bei Ankündigung einer Erkrankung
Bereits die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber einem unberechtigten Verlangen auf Gewährung von Urlaub nicht entsprechen sollte, ist ohne Rücksicht auf eine später tatsächlich auftretende Krankheit an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben
LAG Hamm (Westfalen), Urteil v. 14.08.2015 – 10 Sa 156/15
In dem vor dem Landesarbeitsgericht verhandelten Fall stritten die Parteien um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung. Der Kläger, dessen Spätschicht um 14 Uhr beginne sollte, schickte seinem Vorgesetzten Zeuge y2 um 10.20 Uhr eine WhatsApp–Nachricht mit der Mitteilung, dass er an diesem Tag kurzfristig Urlaub benötige. Der Kläger bat den Zeugen y3 darauf telefonisch, dass dieser bei der Beklagten anrufen oder hinfahren solle, um abzuklären, ob dem Kläger kurzfristig für diesen Tag Urlaub bewilligt werden könne. Dies tat der Zeuge y3 nicht. In einem weiteren Telefonat gegen 13.50 Uhr zwischen dem Zeugen y2 und dem Kläger erklärte der Kläger: „Dann gehe ich zum Arzt.“ Um 14.20 Uhr rief der Kläger den Zeugen y2 an und teilte mit, dass er arbeitsunfähig sei. Am 01.07.2014 übersandte der Kläger der Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum 30.06. bis zum 02.07.2014, ausgestellt am 01.07.2014.
Das Landgericht wies im vorliegenden Fall die Berufung ab und bestätigte das erstinstanzliche klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts.
Die von der Beklagten erklärte fristlose Kündigung sei wirksam. Ein wichtiger Grund gemäß § 626 Absatz 1 BGB sei gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht sei bereits die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber einem Verlangen des Arbeitnehmers nicht entsprechen sollte, ohne Rücksicht auf eine später tatsächlich auftretende Krankheit an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben (vgl. etwa BAG, Urteil vom 12.03.2009 – 2 AZR 251/07) Der Arbeitnehmer, welcher einen ihm nicht zustehenden Vorteil durch eine unzulässige Drohung zu erreichen versuche, verletze hierdurch seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Absatz 2 BGB), die es verbiete, die andere Seite unzulässig unter Druck zu setzen. Zugleich würde durch die Pflichtverletzung das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit und Loyalität des Arbeitnehmers in schwerwiegender Weise beeinträchtigt. Der wichtige Grund zur Kündigung sei in der ausdrücklich oder konkludent erklärten Bereitschaft des Arbeitnehmers zu sehen, sich die begehrte Freistellung notfalls durch eine in Wahrheit nicht vorliegende Arbeitsunfähigkeit zu verschaffen. Aus diesem Grund käme es nicht mehr darauf an, ob der Arbeitnehmer später (zufällig) tatsächlich erkranke oder nicht.
Soweit der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Ankündigung eines künftigen, krankheitsbedingten Fehlens aber bereits objektiv erkrankt war, dürfe er davon ausgehen, auch am Tag des begehrten Urlaubs (weiterhin) wegen Krankheit arbeitsunfähig zu sein, und könne sein Fehlen am Arbeitsplatz nicht mehr auf einen fehlenden Arbeitswillen zurückgeführt werden. Für die Frage, ob der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Androhung tatsächlich erkrankt war, trage der Arbeitgeber die Beweislast. Allerdings habe der Arbeitnehmer im Rahmen seiner sekundären Behauptungslast vorzutragen, welche konkreten Krankheiten bzw. Krankheitssymptome im Zeitpunkt der Ankündigung der Krankschreibung vorgelegen haben und weshalb der Arbeitnehmer darauf schließen durfte, (auch noch) am Tag der begehrten Freistellung arbeitsunfähig zu sein.
Im vorliegenden Fall sah das Landesarbeitsgericht aufgrund der Androhung des „Krankmachens“, der erst rückwirkend ausgestellten Krankschreibung sowie des widersprüchlichen Vortrags des Klägers bezüglich der Umstände der Krankschreibung den Nachweis des Klägers nicht erbracht, tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein. Auch die Interessensabwägung nahm das Landesarbeitsgericht zu Lasten des Klägers vor. Die Androhung sei geeignet gewesen, dem Arbeitsverhältnis die Vertrauensgrundlage zu entziehen. Schon ein einmaliger Fall einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit könne deshalb eine Kündigung rechtfertigen, auch wenn der Arbeitnehmer damit keine Entgeltfortzahlung erschleiche.