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04.08.2010

Arzneimittel-Rabattverträge: Ausschreibungspflicht auf Verträge mit „faktischer Exklusivität“ ausgeweitet

Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSGNRW) vom 10.09.2009 (L 21 KR 53/09)

Zum Sachverhalt: Eine gesetzliche Krankenkasse hatte ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens (sog. „de-facto-Vergabe“) einen Arzneimittelrabattvertrag nach § 130a Abs. 8 SGB V mit einem Pharmaunternehmen geschlossen und Angebote eines Konkurrenzunternehmens, welches ebenfalls berücksichtigt werden wollte, abgelehnt. Dieser Vertrag war nach Ansicht der Vergabekammer des Bundes nichtig. Das LSGNRW hat diese Entscheidung bestätigt.

Zum Hintergrund: Arzneimittelrabattverträge sind in den letzten zwei Jahren häufig Gegenstand von vergaberechtlichen Entscheidungen gewesen. Mittlerweile ist durch einen Verweis im SGB V (§ 69 Abs. 2 S 1 Halbs. 2) auf Normen des Kartellvergaberechts klargestellt, dass zumindest bei einer einzelvertraglichen Leistungsbeschaffung der vierte Teil des GWB anzuwenden ist.
Für den Bereich der Rabattverträge hat der vorliegende Beschluss des LSGNRW das Spannungsfeld zwischen Sozialrecht und Vergaberecht weiter aufgeklärt.

Bislang war unklar, ob ein vergabepflichtiger öffentlicher Auftrag vorliegt, wenn der Vertrag keine Exklusivität für den Auftragnehmer vorsieht. Diese Fallkonstellation hat der Senat des LSG wie folgt „lehrbuchmäßig“ an § 99 GWB geprüft:

  • Es lag eine Rahmenvereinbarung über die Beschaffung von Waren vor (auch wenn nicht direkt Waren gekauft werden, sondern nur ein Rabatt auf Arzneimittel gewährt wird, die vom Arzt verordnet werden und auf welche die Patienten gegenüber der Kasse einen Sachleistungsanspruch haben).
  • Der Vertrag war – auch angesichts des Vierecksverhältnisses zwischen Arzt, Patient, Pharmaunternehmen und Krankenversicherung „entgeltlich“ i.S.d. Kartellvergaberechts (auch wenn die Krankenkasse nichts direkt beschafft). Der Begriff sei weit auszulegen.
  • Auch wenn keine Exklusivitätsrechte vertraglich vereinbart worden sind, kann ein Vertrag einem Pharmaunternehmen faktisch einen Wettbewerbsvorteil im Hinblick auf Mitbewerber verschaffen. Grund hierfür ist u.a. die Ersetzungspflicht der Apotheken gem. § 129 Abs. 1 S. 3 SGB V: Diese haben unter bestimmten Voraussetzungen das günstigere Arzneimittel (des Rahmenvertragspartners) abzugeben.

Das beigeladene Pharmaunternehmen wurde sowohl durch den Effekt der sozialrechtlichen Ersetzungspflicht der Apotheken als auch durch eine Information der Krankenkasse an Vertragsärzte und Patienten und die IFA (Informationsstelle für Arzneispezialitäten GmbH) bevorzugt. Die Krankenkasse hatte auf das günstigere Medikament aufmerksam gemacht. Die Antragstellerin hatte demzufolge Umsatzrückgänge zu verzeichnen.

Die Vergabekammer, bestätigt durch das LSG, hatte den Vertrag wegen der „de-facto-Vergabe“ für nichtig erklärt und die Krankenkasse verpflichtet, die Angeschriebenen über die Nichtigkeit der Rahmenvereinbarung zu informieren.

Die Nichtigkeit des Vertrages ergab sich noch aus „altem Vergaberecht“ (§ 13 Abs. 6 VgV in entsprechender Anwendung). Die nunmehr geltenden Vorschriften (§§ 101a, 101b GWB) stellen klar, dass „de-facto-Vergaben“ die Unwirksamkeit des jeweiligen Vertrags zur Folge haben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist. Dieses muss wiederum innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss initiiert worden sein.

Für Auftragnehmer ist folgendes wichtig:

  • Sobald der öffentliche Auftraggeber gegen Vergaberecht verstößt, muss unverzüglich gerügt werden.
  • Nach einer Rüge muss ggf. ein Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer gestellt werden.

Öffentliche Auftraggeber wie Krankenkassen sollten folgendes beachten:

  • Eine de-facto-Vergabe bringt hohe Risiken mit sich, wenn der Auftrag vergabepflichtig ist.
  • Auf die 6-Monats-Frist des § 101b GWB kann man sich nicht mehr „verlassen“. Auch danach könnte ein unterlegener Bieter eine nicht erfolgte Vergabe ggf. angreifen. Grund hierfür ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)

Vergaberecht reguliert den Markt und soll möglichst wirtschaftliche Ergebnisse erzielen. Gerade für innovative Medikamente rufen Pharmaunternehmen hohe Preise auf. Es liegt im Interesse der Krankenversicherungen, Marktmechanismen zu nutzen, um die Kostenseite zu beeinflussen.

Dies war im konkreten Fall auch die Absicht der unterlegenen Krankenkasse. Durch eine „selektive Vertragsgestaltung“ sollte der Wettbewerb „in diesem starren Markt“ gefördert werden. Dies war ein Grund für den Abschluss der Rahmenvereinbarung nur mit dem beigeladenen Pharmaunternehmen.

Es bestehen diverse Möglichkeiten, vergaberechtskonform Marktmechanismen auszunutzen: Ein sinnvoller Loszuschnitt kann den Wettbewerb fördern. Weiter kann eine Rahmenvereinbarungen mit Rabattierung z.B. mit einem Unternehmen nach Ausschreibung abgeschlossen werden. Ebenso ist denkbar, mehrere Unternehmen in eine Rahmen-Rabattvereinbarung zu integrieren. Dies kann sowohl Preisvorteile als auch erhöhte Versorgungssicherheit erzeugen. Auch ist eine bessere Compliance beim Patienten denkbar, wenn dieser nicht auf ein (ggf. ihm unbekanntes) Generikum verwiesen wird.

Ein denkbarer Ansatz ist auch das sog. „Open-house-Modell“, bei welchem alle Unternehmen zugelassen werden, welche sich an einen vorgegebenen Mindestrabattrahmen halten. Eine Bewertung dieses Modells durch die Entscheidungspraxis steht allerdings noch aus.

Wichtig erscheint jedenfalls, den Markt vor Konzeption der Ausschreibung genau zu analysieren. Die Rabatthöhe ist für das Gesamtergebnis nicht allein ausschlaggebend: Wenn das stark rabattierte Medikament nicht immer geliefert werden kann, müssen nicht rabattierte und damit teure Ersatzpräparate abgegeben werden. Daher sollte eine Ausschreibung auch eine hohe Rabattierungsquote (und damit ein insgesamt hohes Einsparpotential) erzielen.

 

Authors

René M. Kieselmann

René M. Kieselmann

Partner

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