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17.08.2010

Ungewöhnlich niedriger Preis – Auf das Verbot von nicht auskömmlichen Angeboten kann sich ggf. auch ein Konkurrent berufen!

Ausreichende Dokumentation im Vergabevermerk notwendig Kammergericht (KG), Beschluss vom 10.12.2009 (Verg 5/09)

Der Fall
Das Land Berlin hatte das „Management der öffentlichen Beleuchtung" ausgeschrieben.
Ein Bieter (die Beigeladene) hatte ein Angebot abgegeben, dessen Preis 13% unter dem Preis des Konkurrenten lag, welcher den Nachprüfungsantrag gestellt hatte.
Die Antragstellerin war der Ansicht, das Angebot des „Billigbieters" sei auszuschließen. Der Auftraggeber hatte dessen Angebot umfangreich überprüft, war aber zum Schluss gekommen, dass trotz des geringeren Preises das Angebot nicht unauskömmlich sei.
Die beigeladene „Billigbieterin" war der Ansicht, die Vorschrift der VOL/A zu Unterpreisangeboten schütze nur den Auftraggeber. Konkurrenten könnten sich hierauf nicht berufen.

Die Entscheidung
Das Kammergericht korrigierte die Entscheidung der Vergabekammer Berlin (diese hatte den Nachprüfungsantrag ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen) und verpflichtete das Land u.a. zur Neubewertung des „Billigangebotes".
Die maßgebliche Vorschrift (jetzt in § 19 Abs. 6 VOL/A-EG zu finden) gebe dem Auftraggeber zwar einen Ermessensspielraum, ob er einen Preis als ungewöhnlich niedrig ansieht. Wenn er dies tut, muss er in einem zweiten Schritt den Preis prüfen und die Gründe hierfür aufklären und nachvollziehen.
Der öffentliche Auftraggeber hatte den Preis als ungewöhnlich niedrig angesehen, jedoch auch nach mündlichen und schriftlichen Aufklärungsversuchen maßgebliche Unklarheiten in der Kalkulation nicht im Vergabevermerk erwähnt.
Unklar und damit eher spekulativ war die Erwartung einer Zusatzvergütung für energiesparende Modernisierungsmaßnahmen, die aber vom „Billigbieter" nicht sicher einkalkuliert werden konnte, weil die Modernisierung von Haushaltsmitteln des Landes abhängig war.

Fazit
Öffentliche Auftraggeber sollten folgendes bedenken:

  • Ein vollständiger, schlüssiger und für Dritte nachvollziehbarer Vergabevermerk ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Vergabe, die auch Nachprüfungsanträgen standhält.
  • Der Auftraggeber ist verpflichtet, wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweisen zu bekämpfen.

Unterkostenangebote können zulässig sein. Eine Überprüfungspflicht bei einem niedrigen Angebot besteht (Faustregel) dann, wenn es mehr als 10% vom nächst teuren Angebot abweicht. Auszuschließen sind Unterkostenangebote jedenfalls dann,

  • ... wenn Gefahr besteht, dass Mitbewerber vom Markt verdrängt werden (Schutz vor unlauterem Wettbewerb),
  • ... wenn das Unternehmen aufgrund des unauskömmlichen Niedrigangebotes vermutlich selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen wird (so dass die Auftragsausführung gefährdet wird).

Allerdings hat der öffentliche Auftraggeber hierbei einen Beurteilungsspielraum, zumal ein knapp (auch unter den Kosten) kalkuliertes Angebot mit der Zielsetzung „Marktzutritt" zulässig ist. Hierbei muss jedoch genau geprüft werden, ob unlauterer Verdrängungswettbewerb vorliegt – dies stand hier im Raum.
Der Beurteilungsspielraum ist von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar. Unbedingt erforderlich ist allerdings eine vollständige und schlüssige Argumentation und Dokumentation im Vergabevermerk.
Auch wenn das Kammergericht die Schutzwirkung der genannten Vorschrift für dritte Bieter mit der Einschränkung „jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden" bejaht, ist der Spielraum für öffentliche Auftraggeber eher kleiner geworden.
Dieser Tatsache muss die Vergabestelle durch einen qualitativ hochwertigen Vergabevermerk Rechnung tragen.

Für betroffene Bieter bedeutet die Entscheidung folgendes:

  • In Nachprüfungsverfahren kann noch besser gegen mutmaßlich unlautere „Billigangebote" von Konkurrenten vorgegangen werden.
  • Wenn sich bei der Akteneinsicht im Verfahren herausstellt, dass der Vergabevermerk an Mängeln leidet, erhöht dies die Erfolgschancen eines Nachprüfungsantrages erheblich.

 

Autor/innen

René M. Kieselmann

René M. Kieselmann

Partner

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