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19.03.2015

Scheinwerkverträge und Arbeitnehmerüberlassung – neue Rechtsprechung zu den rechtlichen Konsequenzen

Die Grenzen zwischen einem „echten“ Werk- oder Dienstvertrag und einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung sind oft fließend. Das birgt Risiken: Wird ein vermeintlicher Werkvertrag im Nachhinein als Fall der Arbeitnehmerüberlassung qualifiziert und hat der Auftragnehmer keine Erlaubnis hierfür, kommt kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zum Auftraggeber zustande.

Die Grenzen zwischen einem „echten“ Werk- oder Dienstvertrag und einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung sind oft fließend. Das birgt Risiken: Wird ein vermeintlicher Werkvertrag im Nachhinein als Fall der Arbeitnehmerüberlassung qualifiziert und hat der Auftragnehmer keine Erlaubnis hierfür, kommt kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zum Auftraggeber zustande. Zur Vermeidung dieser Risiken ist es bisher gängige Praxis, dass die Auftragnehmer als „Rettungsfallschirm“ vorsorglich eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis einholen, auch wenn sie ihre Tätigkeit offiziell auf Basis von Werk- oder Dienstverträgen anbieten. Dieses Absicherungsmodell wird in Zukunft möglicherweise nicht mehr funktionieren. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg kam Ende 2014 in zwei ähnlich gelagerten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 03.12.2014 – 4 Sa 41/14

LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 18.12.2014 – 3 Sa 33/14


Den beiden Entscheidungen lagen ähnliche Sachverhalte zugrunde. Die Arbeitnehmer waren jeweils bei einer Drittfirma angestellt. Diese Drittfirmen schlossen sodann als Werkvertrag bezeichnete Verträge mit dem tatsächli-chen Einsatzunternehmen. Dort waren die Arbeitnehmer dann über Jahre hinweg eingesetzt und faktisch in die Betriebsabläufe eingegliedert. Die Drittfirmen, mit denen die Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis standen, waren zwar jeweils im Besitz einer Erlaubnis zur überlassung von Arbeitnehmern. Nach der vertraglichen Konstruktion wurden die Sachverhalte „auf dem Papier“ aber nicht als Arbeitnehmerüberlassung behandelt.

Fälle der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung kommen in der Praxis häufig vor. Für die rechtliche Qualifikation kommt es nicht darauf an, wie die Parteien den ihrer Zusammenarbeit zugrundeliegenden Vertrag bezeichnet haben, wenn die tatsächliche Handhabung dem widerspricht. So liegt eine Arbeitnehmerüberlassung auch beim „offiziellen“ Abschluss eines Werkvertrags vor, wenn die eingesetzten Arbeitnehmer in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert werden und dort umfassenden Weisungen unterstehen. In einem solchen Fall eines nur zum Schein bestehenden Werkvertrages kommt kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Auftragge-ber und dem eingesetzten Arbeitnehmer zustande, wenn der Auftragnehmer keine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis hat (§ 10 AüG).

Was gilt aber, wenn – wie in den beiden vom LAG Baden-Württemberg entschiedenen Fällen – der Auftragnehmer im Besitz einer solchen Erlaubnis ist? Nach Auffassung der 4. Kammer des LAG Baden-Württemberg hilft dies den Parteien nicht unbedingt weiter. Sie kommt im Urteil vom 03.12.2014 (4 Sa 41/14) zu dem Ergebnis, dass sich die Parteien nicht auf das Vorliegen der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis berufen können, wenn ein Fall der Treuwidrigkeit vorliegt. Das sei dann der Fall, wenn sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer positiv wüssten, dass die tatsächlichen Voraussetzungen einer Arbeitnehmerüberlassung vorliegen (Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers; Erhalt der Weisungen durch den Auftraggeber) und wenn sie diesen Umstand gegenüber dem Arbeitnehmer verschleiern. In diesem Fall ist nach Auffassung der 4. Kammer des LAG Baden-Württemberg der Sachverhalt so zu behandeln, als liege keine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vor. Im Ergebnis bekam der Arbeitnehmer, der den Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit dem Auftraggeber geltend gemacht hatte, Recht.

Einen entgegengesetzten Standpunkt hat insoweit die 3. Kammer des LAG Baden-Württemberg eingenommen. Auch wenn nur ein Scheinwerkvertrag vorliege und in Wahrheit von einer Arbeitnehmerüberlassung auszugehen sei, scheitere das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Auftraggeber daran, dass der Auftragnehmer im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis sei. Ein anderes Ergebnis lasse sich auch nicht aus einer etwaigen Treuwidrigkeit ableiten.

Bis zu einer abschließenden Klärung in der Rechtsprechung besteht für Unternehmen im Grenzbereich zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Werk- bzw. Dienstverträgen eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Arbeitgeber sollten hier höchste Vorsicht walten lassen und sich insbesondere nicht darauf verlassen, dass eine „Vorratserlaubnis“ sie vor den unangenehmen Rechtsfolgen einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung bewahrt. Eine abschließende Entscheidung obliegt dem Bundesarbeitsgericht. Gegen die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vom 03.12.2014 wurde dort bereits Revision eingelegt (Az. des BAG: 9 AZR 51/15). Möglicherweise erledigt sich die Streitfrage aber auch durch eine eindeutige gesetzliche Regelung. Nach dem Koalitionsvertrag soll nämlich ein Scheinwerkunternehmer und sein Auftraggeber auch dann, wenn eine überlassungserlaubnis vorliegt, nicht besser gestellt werden als derjenige, der schlichtweg ohne Erlaubnis Arbeitnehmerüberlassung betreibt. Dies war bereits im Jahr 2013 Gegenstand einer Gesetzesinitiative im Bundesrat. Es ist zu erwarten, dass die divergierenden Entscheidungen des LAG Baden-Württemberg die Diskussion um den Gesetzesvorschlag wieder in Schwung bringen.