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18.01.2017
Grenzüberschreitende Kontopfändung durch die neue EU-Kontopfändungsverordnung
„Wie komme ich an Geld, das mir ein säumiger Geschäftspartner schuldet?“. Diese Frage beschäftigt viele Unternehmen täglich.
Grundsätzlich gilt: Einen Zugriff auf das Vermögen des Schuldners bekommt der Gläubiger erst dann, wenn ein Gericht den Schuldner zur Zahlung verurteilt hat. Wann das Geld tatsächlich fließt, hängt daher von der Prozessdauer ab.
Selbst in Deutschland, wo Gerichtsverfahren vergleichsweise zügig durchgeführt werden, können Rechtsstreitigkeiten allein in der ersten Instanz zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen. In anderen Mitgliedstaaten können sogar bis zu sechs Jahre verstreichen, bis der Gläubiger seine offene Forderung gerichtlich erstmals zugesprochen bekommt. Für die Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils muss der Gläubiger zumeist Sicherheitszahlungen leisten, sofern der Schuldner Rechtsmittel gegen das Urteil einlegt. Noch komplizierter und zeitaufwendiger wird es, wenn sich das Vermögen des Schuldners in einem anderen Staat befindet.
Hat der Schuldner seinen Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat als in dem, dessen Gericht die Entscheidung erlässt, kann das Urteil aus einem anderen Mitgliedstaat zwar unter bestimmten Voraussetzungen auch dort vollstreckt werden. Das Verfahren regelt eine EU-Verordnung (EuGVVO Nr. 1215/2012). Der Schuldner muss aber vor der Vollstreckungsmaßnahme zwingend informiert werden (Art. 43 Abs. 1 EuGVVO) und hat unter Umständen genügend Zeit, sein Vermögen zu verschieben. Insbesondere bei betrügerischen Handlungen (z.B. dem CEO-Fraud) muss es im Regelfall schnell gehen, um Rückforderungsansprüche zu realisieren. Daneben versuchen nicht selten „Gewohnheitsschuldner“ aufgrund der begrenzten Möglichkeiten der grenzübergreifenden Vollstreckung, sich dem Zugriff ihrer Gläubiger zu entziehen.
Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Person bzw. Unternehmen mit Sitz in einem Nicht-EU-Staat, so ist die Vollstreckung mangels entsprechender Abkommen zwischen den Staaten (z.B. Deutschland - Indien) entweder nahezu unmöglich oder mit erheblichem Kosten- und Zeitaufwand verbunden. Daher empfiehlt es sich, bei Verträgen mit Drittländern immer zu prüfen, ob Gerichtsurteile auch am Sitz des Vertragspartners durchgesetzt werden können.
Kontopfändung und ihre Bedeutung für die Praxis
Die Kontopfändung ist meist die effizienteste und sicherste Art, wie ein Gläubiger bei einem nicht zahlenden Schuldner an sein Geld gelangen kann.
Problematisch ist jedoch, dass der Gläubiger regelmäßig keine Kenntnis davon hat, bei welcher Bank sich das Konto des Schuldners befindet. Meist kann er nur anhand des (Wohn-)Sitzes des Schuldners mutmaßen. Um zu verhindern, dass der Gläubiger versucht, den Schuldner auszuforschen und das Bankgeheimnis zu umgehen, dürfen nach der deutschen Rechtsprechung regelmäßig nur drei Bankinstitute angeschrieben werden, bei denen der Gläubiger Konten des Schuldners vermutet. Dies gilt aber bei weitem nicht für alle EU-Mitgliedstaaten. In einigen hat der Gläubiger überhaupt keinen Auskunftsanspruch gegen die Banken, die sich auf ihr Bankgeheimnis berufen.
Zudem kann der Gläubiger im Normalfall nicht ohne gerichtliche Legitimation auf die Konten des Schuldners zugreifen.
Instrumentarium des deutschen Arrests
Das deutsche Recht sieht mit dem Arrestbefehl aber eine gerichtliche Sicherungsmaßnahme vor, mit der bereits auf die Konten eines Schuldners zugegriffen werden kann, bevor eine Entscheidung des Gerichts zu der Frage ergeht, ob dem Gläubiger die Forderung tatsächlich zusteht (sog. Hauptsacheentscheidung). Stellt der Gläubiger den Arrestbefehl einer Bank zu, muss diese mitteilen, ob sie Konten des Schuldners führt und diese zunächst in Höhe der Forderung „festsetzen" (arretieren).
Den Arrestbefehl erlässt das Gericht nur unter zwei Voraussetzungen: Erstens muss der Gläubiger lediglich glaubhaft darlegen, dass ein Zahlungsanspruch gegen den Schuldner besteht (sog. Arrestanspruch). Zweitens muss eine besondere Eilbedürftigkeit vorliegen, die es rechtfertigt, vor einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache in das Vermögen des Schuldners im Wege der Sicherungsmaßnahme einzugreifen (sog. Arrestgrund). Letzteres ist meist die große Hürde, denn der Gläubiger muss glaubhaft machen, dass die Besorgnis besteht, ohne den Arrest würde die Vollstreckung des Urteils durch ein Geschehen oder eine Handlung des Schuldners vereitelt oder wesentlich erschwert. Die reine Zahlungsunwilligkeit oder die Gefahr der Insolvenz des Schuldners sind nicht ausreichend.
Die Entscheidung des Gerichts ergeht grundsätzlich im Beschlusswege, d.h. weder ist eine Mitwirkung des Schuldners erforderlich noch erhält er über den Arrestantrag vorab Kenntnis. Dies sichert den bezweckten „Überraschungseffekt“. Ohne das oben erwähnte EU-Verfahren kann der Arrest jedoch nur bei Banken in Deutschland für die Kontopfändung genutzt werden.
Der Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontopfändung
Am 18. Januar 2017 tritt nun die neue EU-Verordnung zur grenzüberschreitenden, vorläufigen Kontopfändung (EUKoPfVO Nr.655/14) in Kraft. Die Verordnung ist für alle Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Dänemark und dem Vereinigten Königreich bindend. Der Entwurf eines Gesetzes, das die Anwendung der Verordnung in Deutschland regeln und sichern soll, ist von der Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht.
Die EUKoPfVO hat insbesondere das Ziel, einem Gläubiger bereits vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens im Einzelfall den Zugriff auf die Bankkonten des Schuldners in einem anderen Mitgliedstaat zu ermöglichen.
Zwar verfügen nicht wenige europäische Staaten über ein ähnliches Verfahren zur vorläufigen Sicherung eines Gläubigers wie Deutschland. Diese unterscheiden sich aber inhaltlich zum Teil erheblich. In manchen Mitgliedstaaten ist der Gläubiger dagegen sogar nahezu rechtlos gestellt. Oder die Vollstreckung eines anerkannten ausländischen Urteils geht aufgrund der zwingenden Mitteilung an den Schuldner über die Einleitung des Verfahrens gänzlich ins Leere.
Genau an diesen Punkten setzt die EuKoPfVO an. Sie soll ein Instrumentarium schaffen, das eine vorläufige Kontopfändung über die Grenze eines Mitgliedstaates hinaus ermöglicht, ohne den Schuldner vorher zu warnen. Selbstverständlich kann auch der Gläubiger, der bereits ein Urteil in der Hauptsache erstritten hat, nach der EuKoPfVO vorgehen.
Vor allem drei Punkte machen die neue Verordnung besonders:
Sie begrenzt die Pfändung nicht darauf, dass der Schuldner seinen (Wohn-/Firmen-)Sitz in der EU hat. Maßgeblich ist stattdessen, dass sich das jeweilige Konto des Schuldners in der EU befindet. Theoretisch kann so auch z.B. auf Konten von amerikanischen oder chinesischen Firmen (bzw. Staatsbürgern) zugegriffen werden, die ihren Firmensitz (Wohnsitz) außerhalb der EU haben. Insbesondere in China ist die Vollstreckung eines deutschen Urteils zurzeit aussichtslos.
Alle beteiligten Mitgliedstaaten sind verpflichtet, zentrale Stellen zu schaffen, die dem durch den Gläubiger angerufenen Gericht Auskunft darüber geben müssen, ob eine niedergelassene Bank ein Konto des Schuldners führt.
Der Beschluss eines mitgliedstaatlichen Gerichts ist von einer Bank in einem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen, d.h. die Bank ist verpflichtet, das jeweilige Konto auf Grundlage des Beschlusses vorläufig zu pfänden.
Allerdings erlässt ein Gericht den Beschluss zur Kontopfändung nur, wenn ähnliche Voraussetzungen erfüllt sind wie für den deutschen Arrestbefehl (Anspruch und Grund). Welchen Maßstab die einzelnen nationalen Gerichte hierbei aber bei ihrer Beurteilung anlegen, liegt weitestgehend im freien Ermessen des jeweiligen Richters.
Fazit und Ausblick:
Die EuKoPfVO ist ein Schritt in die richtige Richtung, bleibt aber hinter den Erwartungen zurück. Ob der EU mit dieser Kompromisslösung der große Wurf gelungen ist, ist daher abzuwarten. Entscheidend wird sein, wie zügig und effizient die einzelnen Mitgliedstaaten die Verordnung umsetzen, zentrale Informationsstellen schaffen und Gerichte sowie Banken verpflichten.
Die Praxis wird zudem zeigen, ob eine gemeinsame Linie für den Erlass des Pfändungsbeschlusses bei den nationalen Gerichten der beteiligten 26 Mitgliedstaaten gefunden und etwaiger Widerstand der Richter gegen die Anwendung der oktroyierten Verordnung abgebaut werden kann. Im Einzelfall muss der Gläubiger stets abwägen, ob er nach der EuKoPfVO vorgeht oder er sich der nationalen Sicherungsmöglichkeiten des Schuldnerstaates bedient.