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23.03.2020

Entschädigung und staatliche Hilfen – muss der Staat für Corona zahlen?

Corona hat nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt im Griff. Ein bislang nie dagewesenes Szenario bringt unser gesellschaftliches Leben, Wirtschaft und Politik an die Grenzen des Erträglichen und darüber hinaus. Viele stellen sich die Frage: „Wer kommt für die volkswirtschaftlichen und die persönlichen Schäden auf?“

Leider ist die Antwort alles andere als befriedigend. Doch es gibt ein wenig Hoffnung.

Der zivilrechtliche Rahmen – Ansprüche zwischen Vertragspartnern in Lieferketten, Kündigungs- und Anpassungsmöglichkeiten behandeln wir in anderen Artikeln auf unserer Corona-Übersichts-Website. Hier befassen wir uns mit Ansprüchen gegen die öffentliche Hand.

Das wichtigste in Kürze:

  • Wenn einer Ihrer Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin vom Gesundheitsamt in „Corona-Quarantäne“ geschickt wird, ohne zugleich einer Heilbehandlung unterzogen zu werden, kann es Ansprüche auf Entschädigung nach dem IfSG geben. Diese müssen kurzfristig (drei Monate Frist!) angemeldet werden. Kümmern Sie sich rechtzeitig darum.
  • Die allgemeine Betroffenheit von den Alltags-Restriktionen und den krisenbedingten Umsatzausfällen berechtigt nicht zu einer Entschädigung! Blockieren Sie nicht die Kanäle der Gesundheitsämter mit sinnlosen Entschädigungsanträgen nach IfSG. Lassen Sie sich vorher beraten.
  • Nutzen Sie stattdessen die staatlichen Hilfsangebote. Dies sind keine „Almosen“, sondern nach dem Sozialstaatsgebot von der öffentlichen Hand geschuldete Ausgleichsmaßnahmen für die Folgen der Krise.
  • Dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren! Halten Sie die Veränderungen in Ihrem Unternehmen aufgrund der Corona-Krise schriftlich fest, sei es durch ein Betriebstagebuch oder die Sammlung aller Anweisungen und Organisationsmaßnahmen in einem „Corona-Ordner“ – wahrscheinlich erst dann, wenn die Krise vorüber ist, müssen Ansprüche im Detail belegt werden. Gut, wenn man spätestens dann vorbereitet ist! Für große Unternehmen ist dies vielleicht selbstverständlich aber gerade die kleinen und mittleren Unternehmen müssen diese Routinen  vielleicht erst einmal entwickeln. Lassen Sie sich helfen und beraten.
  • Berechnen und dokumentieren Sie Ihre Umsatz- und Produktivitätsausfälle in „Echtzeit“, d. h. mit wöchentlichen und monatlichen Berechnungen, um für die Antragsverfahren und deren spätere Nachprüfung gewappnet zu sein!
  • Hierzu gehört auch die Abgrenzung der allgemeinen konjunkturellen Effekte von der „Corona-Krise“. Gastronomen, die in den Wintermonaten geringe Umsätze hatten, hätten im sonnigen Frühjahr die Terrassen geöffnet. Hier verbietet sich eine starre Hochrechnung der Januar-Zahlen auf das restliche Jahr. Doch dazu müssen Sie die Argumente bringen.
  • Ganz allgemein gilt: Wir erwarten durchaus zuversichtlich die versprochenen „unbürokratischen“ und „flexiblen“ Hilfen der Bundes- und Landesbehörden. Vieles davon erfolgt jedoch auf Kreditbasis im Zusammenspiel mit den Hausbanken. Diesem System steht der Stresstest noch bevor. Anträge werden sich häufen und die Behörden und die Banken überlasten. Rechnen Sie mit Verzögerungen. Je besser Sie sich vorbereiten, desto schneller kann Ihnen geholfen werden!
  • Ohne unken zu wollen: Die große Abrechnung erfolgt erst nach der Krise. Gerade weil jetzt hoffentlich schnell und ohne langwierige Prüfung Mittel zugewendet werden, wird nach der Krise eine wenigstens stichprobenartige Prüfung erfolgen, gerade um Missbrauchsfälle aufzudecken.
  • Denken Sie auch daran, dass Kreditmittel – selbst wenn zinslos gewährt – irgendwann zurückgezahlt werden müssen. Unternehmensinhaber müssen persönlich bürgen und damit gerät auch privates Vermögen potentiell „ins Feuer“.

Was ist die Rechtsgrundlage für das alles?

Rechtsrahmen des IfSG

Alle derzeitigen Maßnahmen des Bundes, der Länder und der Kommunen gehen auf das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) zurück. Das historische Vorgängergesetz hatte noch den martialischen Namen „Bundes-Seuchengesetz“. Seuchen, Epidemien und in Zeiten der Globalisierung zunehmend Pandemien begleiten die menschliche Zivilisation seit Jahrtausenden. Das IfSG bietet das gesamte Instrumentarium der staatlichen Reaktion, das schon vor Jahrhunderten galt: Infizierte isolieren und die Gesellschaft durch Ausgangssperren und Verhaltensgebote vor der Verbreitung einer ausgebrochenen Infektionskrankheit schützen. Daneben – eine Entwicklung der Neuzeit – regelt das Gesetz Aufklärung, Forschung und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Maßnahmen zur Eindämmung einer Epidemie sind darauf ausgerichtet, menschliches Verhalten, insbesondere den Austausch im sozialen und damit auch im Wirtschaftsleben zu begrenzen. Wo Hände geschüttelt werden, verbreitet sich eine Krankheit am schnellsten. Es ist daher eine notwendige Konsequenz, dass das „normale“ Leben beeinträchtigt wird – ggf. sehr weitgehend. Werden soziale Kontakte verboten, Läden geschlossen, Menschen aufgefordert, zuhause zu bleiben, leidet jeder und viele erleiden massive wirtschaftliche Schäden. Auf die sozio-psychologischen Auswirkungen des ganzen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Sie sind massiv.

Entschädigung für Personen in Corona-Quarantäne

Nur wer von Maßnahmen der Gesundheitsbehörden direkt und unmittelbar betroffen ist, hat einen Entschädigungsanspruch. Der 12. Abschnitt des IfSG trägt daher auch den Titel „Entschädigung in besonderen Fällen“.

Gemäß § 56 IfSG erhält derjenige eine Entschädigung in Geld, der auf Grund des IfSG als sozusagen „Corona-Fall“ (infiziert oder Verdachtsfall) Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für Personen, die deswegen abgesondert wurden oder werden. Der Begriff der „Absonderung“ ist besser bekannt als „Quarantäne“. Damit gilt, dass diejenigen Personen, die sich aufgrund behördlicher Anordnung in Quarantäne begeben haben obwohl sie keiner Heilbehandlung bedürfen, grundsätzlich entschädigungsberechtigt sind. Wer nur vorsichtshalber aufgrund eigener Entscheidung oder auf Wunsch seines Arbeitgebers der Arbeit ferngeblieben ist, hat keinen Entschädigungsanspruch.

Grundsätzlich orientiert die Entschädigung sich bei Angestellten am Verdienstausfall gemäß dem aktuellen Gehaltsanspruch. Die Verdienstausfallentschädigung wird dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ausgezahlt und der Arbeitgeber erhält die Zahlungen von der nach Landesrecht zuständigen Stelle ausgezahlt.

Selbständige, die aufgrund von Quarantäne nicht arbeiten können, können ebenso einen Verdienstausfall und Hilfen zur Deckung der laufenden Betriebskosten des Unternehmens beantragen.

In allen Fällen gilt, dass nur echte Verluste gedeckt werden, die auf die Arbeitsverhinderung zurückgehen. Der Verdienstrückgang wegen der wirtschaftlich angespannten Lage oder allgemein geltender Restriktionen (z. B. allgemeine Restaurant- oder Ladenschließungen) fällt nicht hierunter. Kann man die Verhinderung der Arbeit am gewohnten Ort anderweitig kompensieren, etwa durch „Home Office“, entfällt ebenfalls (ggf. anteilig) der Entschädigungsanspruch.

Empfehlung: Wenn einer Ihrer Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin wegen eines Corona-Verdachts aufgrund behördlicher Anordnung zuhause bleiben musste und eine Beschäftigung im „Home Office“ oder vergleichbares nicht in Betracht kam, können Sie einen Entschädigungsantrag bei der zuständigen Landesbehörde stellen. Formulare werden von den örtlichen Gesundheitsbehörden im Internet bereitgehalten.

Praxistipp: Denken Sie an die rechtzeitige Dokumentation der Ausfälle, behalten Sie die amtlichen Dokumente und führen Sie Tagebuch über die Tage des Arbeitsausfalls. Wichtig: Grundsätzlich muss der Antrag binnen drei Monaten ab Beginn der Quarantäne gestellt werden.

Keine Entschädigung für die Betroffenen von allgemeinen Beschränkungsmaßnahmen

§ 16 Abs. 1 IfSG bestimmt, dass die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung einer dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahr treffen darf, wenn Tatsachen festgestellt werden, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit wie etwa Covid-19 führen können. § 28 IfSG bestimmt, dass in dem Fall, dass vorliegend etwa Corona-Fälle festgestellt werden, die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen darf. So kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten. Sie kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. Durch § 32 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Diese Restriktionen dürfen Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger einschränken – notfalls sehr weitgehend.

Wie weit die Einschränkungen gehen dürfen, unterliegt einer extrem komplexen Abwägung zwischen dem Wohl der Allgemeinheit, dem Wohl jedes Einzelnen und der jeweiligen Wahrscheinlichkeit, wie sehr das eine oder das andere durch mögliche Maßnahmen beeinträchtigt wird.

Das Bundesverwaltungsgericht hat es in einem Masern-Fall lange vor Corona einmal so formuliert:

„(Es ist) der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (…).Im Falle eines hochansteckenden Krankheitserregers, der bei einer Infektion mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer tödlich verlaufenden Erkrankung führen würde, drängt sich angesichts der schwerwiegenden Folgen auf, dass die vergleichsweise geringe Wahrscheinlichkeit eines infektionsrelevanten Kontakts genügt. (Daher ist) es sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, „flexiblen“ Maßstab für die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen.“

BVerwG, Urt. v. 22. 3. 2012 − 3 C 16/11, NJW 2012, 2823, beck-online

Es ist zwar absehbar, dass es mit weitere Zuspitzung der Lage auch juristischen Streit zu einzelnen Aspekten der getroffenen Maßnahmen geben wird, derzeit wird von keiner Seite vertreten, dass die getroffenen Maßnahmen unverhältnismäßig seien, auch wenn es solche massiven und flächendeckenden Einschränkungen weltweit noch nie gegeben hat.

Wenn wir also davon ausgehen dürfen, dass angesichts der derzeit bekannten epidemiologischen und virologischen Fakten und der Krankheits- und Mortalitätsstatistik das derzeitige Handeln geboten ist, bestehen gegen die öffentliche Hand keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche, da die Behörden sich notgedrungenermaßen gerechtfertigt also rechtmäßig verhalten.

Da aber die allgemein verordneten Beschränkungen entsprechend tiefe Einschnitte für viele Unternehmen und Einzelgewerbetreibende und Freiberufler bedeuten, ist es nicht nur eine freundliche Geste des Staates, Hilfsangebote zu machen, sondern seine sozialstaatliche Pflicht. Allerdings bewegen diese Hilfen sich im Feld der staatlichen Subventionen, wo der Grundsatz gilt, dass man auf sie keinen Anspruch hat, sondern nur das Recht, bei der Gewährung mit anderen gleich behandelt zu werden. Wird das zur Verfügung stehende Geld knapp, muss nach gleichen Maßstäben verteilt werden, auch wenn nicht alle Bedürfnisse befriedigt werden können. Gerade weil jetzt hoffentlich schnell und ohne langwierige Prüfung Mittel zugewendet werden, wird allerdings auch nach der Krise wenigstens stichprobenartig geprüft werden müssen, ob die Gelder auch die Richtigen erreicht haben, gerade auch m Missbrauchsfälle aufzudecken.

Daher empfehlen wir, dass Sie sich rechtzeitig mit den Hilfsangeboten und den Voraussetzungen und den Konsequenzen vertraut machen. Wir halten auf unserer Website hierfür laufend Hinweise bereit und können Sie bei der Antragstellung unterstützen.

Da die ganze Angelegenheit neu und ohne Beispiel ist, lässt sich heute nur vermuten, dass die Antragsverfahren bei aller Flexibilität und dem versprochenen Verzicht auf zu viel Bürokratie die behördlichen Ressourcen auf Bundes- und Landesebene schnell überfordern werden, allzumal auch die Behörden von Personalengpässen durch die Corona-Krise betroffen sind. Das wird jetzt bei der Bearbeitung von Anträgen auf Kurzarbeitergeld bereits sichtbar.

Empfehlung: Sie sollten, wenn nicht schon geschehen, daran gehen, die betrieblichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise im Detail zu dokumentieren! Halten Sie die Veränderungen in Ihrem Unternehmen aufgrund der Corona-Krise schriftlich fest, sei es durch ein Betriebstagebuch oder die Sammlung aller Anweisungen und Organisationsmaßnahmen in einem „Corona-Ordner“. Entweder jetzt zur Beantragung der Hilfen, jedenfalls aber in Prüfungsverfahren nachdem die Krise vorüber ist, wird man Sie zum Nachweis Ihrer Bedürftigkeit auffordern. Wenn staatliche Hilfen gewährt werden, muss ihre ordnungsgemäße Verwendung nachgewiesen werden. Wir gehen davon aus, dass die Großunternehmen sich durch Krisenpläne hierfür ohnehin wappnen. Für viele kleinere und mittlere Unternehmen ist das alles komplettes Neuland.

Praxistipp: Berechnen und dokumentieren Sie Ihre Umsatz- und Produktivitätsausfälle in „Echtzeit“, d. h. mit wöchentlichen und monatlichen Berechnungen. Soweit Ihr Buchhaltungs- und Controllingsystem noch personell und technisch funktioniert, sollten Sie den „Corona-Effekt“ versuchen herauszuarbeiten. Die verständliche Mutlosigkeit und Überforderung vieler in diesen Zeiten, sollte Sie davon nicht abhalten. Hierzu gehört auch die Abgrenzung der allgemeinen konjunkturellen Effekte von der „Corona-Krise“. Gastronomen, die in den Wintermonaten geringe Umsätze hatten, hätten im sonnigen Frühjahr die Terrassen geöffnet. Baustellen hätten nach den Wintermonaten geöffnet werden können usw. Hier verbietet sich eine starre Hochrechnung der Januar-Zahlen auf das restliche Jahr. Doch dazu müssen Sie die Argumente bringen.

Dabei sind anderweitige Kompensationen und Einsparungen (Kurzarbeitergeld, veränderte Einkaufskosten) ehrlich gegenzurechnen.

Ganz allgemein gilt: Wir erwarten durchaus zuversichtlich die versprochenen „unbürokratischen“ und „flexiblen“ Hilfen der Bundes- und Landesbehörden. Vieles davon erfolgt jedoch auf Kreditbasis im Zusammenspiel mit den Hausbanken. Diesem System steht der Stresstest noch bevor. Anträge werden sich häufen und die Behörden und die Banken überlasten. Rechnen Sie mit Verzögerungen. Je besser Sie sich vorbereiten, desto schneller kann Ihnen geholfen werden!

Wir alle müssen uns darauf vorbereiten, dass dieses Corona-Jahr irgendwann, vielleicht erst 2021, in seinen Einzelheiten „abgerechnet“ werden muss. Steuerlasten müssen neu berechnet werden, Hilfskredite müssen ggf. abbezahlt werden. Da kommt auf uns alle viel Arbeit zu!

Stand: 23.03.2020

Autor/innen

Klaus Jankowski

Dr. Klaus Jankowski

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