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19.03.2020

Auswirkung von COVID-19 auf laufende IT-Verträge

Im Zusammenhang mit dem Coronavirus und der Erfüllung von laufenden IT-Verträgen bestehen  aktuell viele Unsicherheiten und Fragen. Sind die Vertragspartner von ihrer Leistungspflicht befreit? Muss der Softwareentwickler auch bei Erkrankung leisten und hat er noch Anspruch auf seine vertraglich vereinbarte Vergütung? Wann kann der Entwicklungsauftrag beendet werden? Besteht in IT-Serviceverträgen die Möglichkeit einer Entlastung eines Vertragspartners unter Berufung auf höhere Gewalt (force majeure)?

Die für IT-Verträge relevanten Regelungen in deutschen Gesetzen kennen den Begriff der höheren Gewalt nicht. Vielfach enthalten allerdings Verträge und Allgemeine Geschäftsbedingungen Regelungen zu diesem Themenkomplex. Diese Regelungen müssen im Einzelfall auf ihre Vereinbarkeit mit dem strengen deutschen AGB-Recht überprüft werden. Hinzu kommt, dass ein Ereignis der höheren Gewalt an enge Voraussetzungen gebunden ist, wie der Unvorhersehbarkeit des Ereignisses, das den Verwender an seiner Leistungsfähigkeit hindert. Wenn dieses Ereignis in Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 besteht (z.B. Qurantänemaßnahmen), dürften diese zumindest bei Verträgen, die noch Ende Februar/ Anfang März 2020 abgeschlossen wurden, kaum mehr unvorhersehbar gewesen sein.

Wurden keine ausdrückliche Regelung getroffen, kommt es für die Frage, ob sich der Vertragspartner bei COVID-19 bedingten Leistungsschwierigkeiten entlasten kann, nach deutschem Recht auf die Frage an, ob Unmöglichkeit vorliegt.

Die reine Sorge vor einer Ansteckung begründet grundsätzlich keinen Fall der Unmöglichkeit, der die Vertragsparteien von ihren Leistungsverpflichtungen befreit. Etwas anderes kann nur in absoluten Ausnahmefällen gelten, wenn dem Vertragspartner aufgrund subjektiver Umstände die Leistungserbringung nicht zumutbar ist.

Liegt ein behördliches Verbot vor, welches die Durchführung des Vertrages hindert, (etwa eine Reisebeschränkung oder Ausgangssperren), kann ein Fall der (zumindest vorübergehenden) Unmöglichkeit vorliegen. In diesem Fall ist es der Vertragspartei zunächst vorübergehend unmöglich, ihren vertraglichen Leistungspflichten nachzukommen. Scheitert eine einvernehmliche Verschiebung des Vertragszeitraums, kann die Leistungserbringung unter Umständen endgültig unmöglich werden. In diesem Fall besteht weder das Recht noch die Pflicht, die Vertragsleistung zu erbringen, auch erlöschen Anspruch und Pflicht auf Zahlung der Vergütung.

Soweit IT-Dienstleister und Softwareentwickler z.B, im Rahmen von Individualsoftwareentwicklung als Werkunternehmer tätig sind, sind sie hingegen vorleistungspflichtig. Ihre Vergütung können sie im Grundsatz erst dann verlangen, wenn das vollständige Werk (bspw. die Programmierleistung oder Implementierung/Datenmigration) durch den Besteller abgenommen worden ist. Es bestehen jedoch zwei Ausnahmen:

(1) Bei stufenweise abzunehmenden und zu vergütenden Werken, wie den Leistungsabschnitten eines Softwareprojekts, entfällt der Vergütungsanspruch für die bereits abgenommenen Teilleistungen des Werkunternehmers selbst im Fall eines späteren Projektabbruchs nicht.

(2) Wird die weitere Werkerstellung durch einen in der Person oder dem Verhalten des Bestellers liegenden Grund (Sphäre) unausführbar, hat der Werkunternehmer einen Anspruch auf den Teil der Vergütung und Ersatz etwaiger Auslagen, der der bisher geleisteten Arbeit entspricht. Ein Projektabbruch auf Grund öffentlicher Anordnung oder überwiegender Gesundheitsrisiken stellt nach unserer Auffassung jedoch keinen in der Sphäre des Softwareentwicklers liegenden Grund dar.

Der Auftraggeber kann einen Werkvertrag bis zur Vollendung des Werkes jederzeit und ohne besonderen Grund kündigen. In einem solchen Fall behält der Werkunternehmer seinen Anspruch auf Werklohn, muss sich jedoch ersparte Aufwendungen und anderweitig erzielte Verdienste darauf anrechnen lassen. Erfolgt eine Kündigung aus wichtigem Grund besteht ein Anspruch auf Vergütung nur für die bis zur Kündigung erbrachten Werkleistungen. Auf Seiten des Auftraggebers dürfte COVID-19 keinen wichtigen Kündigungsgrund darstellen. Auftragnehmer mit Kundenkontakt wie IT Servicetechniker oder Trainer und Workshopleiter können jedoch in der Regel in unverschuldeten Fällen von COVID-19-Infektionen den IT-Vertrag aus wichtigem Grund kündigen. Die Vorschriften über die sogenannte „Störung der Geschäftsgrundlage“ können zu einem Anspruch auf Anpassung des Vertrages (ggf. Verschiebung der Leistungszeiträume) führen. Wird die Vollendung des Werkes dauerhaft unmöglich (z.B. weil die Migration von Daten zum einzig möglichen und vereinbarten Stichtag nicht erfolgt ist), kann auch ein Rücktritt vom Vertrag erfolgen. In einem solchen Fall sind bereits erbrachte Leistungen zurückzuerstatten bzw. entsprechender Wertersatz zu leisten.

Praxishinweis:

Für Auftragnehmer ist es wichtig, mögliche Vertragsklauseln zu höherer Gewalt zu prüfen, die unter Umständen jeweils bereits die Konsequenzen regeln. Sie sollten Anzeigepflichten beachten, die sich aus diesen Klauseln ergeben. Wichtig ist auch die Einhaltung etwaiger vertraglicher Formerfordernisse für solche Anzeigen (z.B. Schriftform).

Auftraggeber dürfen von ihren Dienstleistern regelmäßig zumutbare Maßnahmen verlangen, die eigene Leistungsfähigkeit trotz der Auswirkungen des Coronavirus sowie der damit zusammenhängenden behördlichen Maßnahmen aufrechtzuerhalten.

In jedem Fall sollten mögliche Leistungsschwierigkeiten frühzeitig kommuniziert werden, um dem Vertragspartner die Möglichkeit zu geben, sich auf das Leistungshindernis einzustellen, Vorkehrungen zu treffen und schadensmindernde Maßnahmen zu ergreifen.

In Zweifelsfragen über die Auslegung vertraglicher Regeln und bei der Anwendung der gesetzlichen Regeln unterstützen wir Sie gerne.

Autor/innen

Matthias Orthwein

Dr. Matthias Orthwein

Partner

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