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05.05.2020

Überstunden auf dem elektronischen Arbeitszeitkonto

Auf einem elektronischen Arbeitszeitkonto erfasste Überstunden bewirken nur dann eine Erleichterung der Darlegungslast, wenn diese vom Arbeitgeber streitlos gestellt worden sind.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 5.11.2019 – 5 Sa 73/19

Sachverhalt

   
Die Parteien streiten um die Abgeltung von angeblich geleisteten Überstunden.

Die Arbeitgeberin hat die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten mithilfe eines elektronischen Zeiterfassungssystems aufgezeichnet. Dieses Zeiterfassungssystem verwaltete die Arbeitnehmerin. Dazu besaß sie einen Administratorenzugang, sodass sie auch ihre eigenen Arbeitszeiten verwalten konnte. Die Arbeitgeberin hat die Lage der Arbeitszeit für alle Arbeitnehmer abschließend festgelegt. Das Zeiterfassungssystem wies ein systemisch vorgegebenes Überstundenkonto auf, auf dem die Belegschaft (theoretisch) etwaige Überstunden eintragen konnte. Die Arbeitgeberin machte hiervon allerdings keinen Gebrauch und wies die Belegschaft nicht zur Nutzung dieser Option an.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte die Arbeitnehmerin die finanzielle Abgeltung von Überstunden geltend. Zur Begründung ihres Anspruchs legte sie unter anderem Ausdrucke aus dem elektronischen Zeiterfassungssystem vor, die 276,25 von ihr geleistete Überstunden auswiesen. Die Arbeitgeberin trug dazu vor, weder jemals Überstunden angeordnet zu haben, noch Überstundenkonten zu führen, noch Überstunden in System abzuzeichnen.

Die Entscheidung

   
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab.

Das Landesarbeitsgericht stellte noch einmal ausführlich die Grundsätze der Darlegungslast in einem Überstundenprozess dar. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des BAG verschiebe sich die Darlegungslast zulasten des Arbeitgebers, wenn dieser für die einzelnen Arbeitnehmer ein Arbeitszeitkonto führt, welches vorbehaltlos eine bestimmte Anzahl von Guthabenstunden ausweist. Diese Plusstunden stelle der Arbeitgeber damit streitlos.

Dies traf im vorliegenden Fall aber nicht zu. Die vorgelegten Arbeitszeitaufstellungen hatte die Klägerin nämlich selbst angefertigt; der Arbeitgeberin waren diese Aufzeichnungen nicht bekannt. Vielmehr bestritt die Arbeitgeberin deren Korrektheit und stellte daher die behaupteten Überstunden nicht streitlos. Dies hat zur Folge, dass die Arbeitnehmerin wiederum die volle Darlegungslast trifft; dieser wurde sie vorliegend aber nicht gerecht.

Folgen für die Praxis

   
Die Entscheidung beleuchtet einen weitverbreiteten Irrtum:

Allein die Nutzung eines elektronischen Zeiterfassungssystems bewirkt nicht automatisch, dass jegliche erfasste Stunden als vom Arbeitgeber akzeptiert gelten. Vielmehr sind zunächst die Hintergründe und Details zur Einrichtung und Nutzung des Zeiterfassungssystems aufzuklären. Des Weiteren ist zu überprüfen, ob der Arbeitgeber an irgendeiner Stelle des Zeiterfassungsprozesses die erfassten Stunden als geleistet akzeptiert. Von besonderer Bedeutung ist dabei, ob im jeweiligen Zeiterfassungssystem ein gesondertes Überstundenkonto zulässig genutzt wird. Je nach Sachverhalt gelten Überstunden dann trotz ihrer Erfassung ggf. nicht als streitlos gestellt, sodass sich die Prozessrisiken zu Lasten des Arbeitnehmers (zurück-)verschieben.

Autor/innen

Alexander Möller

Alexander Möller

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